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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Dem Bein traue ich noch viele Schritte zu. Geht Ihr mir zur Hand?«
    »Nichts, das ich lieber täte.«
    Simon trug unter seinem offenen Arbeitskittel ein verwaschenes Hemd und dazu eine geschnürte Hose, die von einem merkwürdigen Gürtel auf den Hüften gehalten wurde. Eine Reihe gefährlich aussehender Instrumente hing daran, manche Teile spitz, andere gebogen, ohne dass für Sanchia erkennbar gewesen wäre, welchem konkreten Zweck sie dienten. Metall klirrte gegen Metall, als er sich vorbeugte, um die Wunde in Augenschein zu nehmen. Sanchia sah auf seinem spärlichen Haar die Kippa des Juden. Jetzt erst fiel ihr auch der nachlässig übergestreifte gelbe Stoffring an seinem Ärmel auf.
    Simon war mager und machte auf Sanchia einen zutiefst traurigen Eindruck mit seinen großen Vorderzähnen und den Tränensäcken unter den Augen. An Jahren mochte er einige weniger zählen als Albiera, wobei Sanchia jedoch völlig außerstande war, beider Alter genau einzugrenzen. Jedenfalls war der Jude sicherlich älter als ihr Vater, der vierunddreißig war. Sie schloss die Augen und verbesserte sich. Gewesen war . Piero der Glasbläser war an Michaeli vor einem Jahr vierunddreißig Jahre alt geworden, und noch vor dem Tag des heiligen Martin war er gestorben.
    Sie befahl sich, nicht daran zu denken, und diesmal fiel es ihr leichter als sonst, denn das Geschehen vor ihr nahm sie völlig gefangen.
    Simon umfasste den unteren Teil des verletzten Beins und zog kräftig nach unten, während Albiera mit einer Hand die Wunde auseinanderdrückte, den Knochen vorsichtig ins Fleisch zurückschob und ihn einrichtete. Mit einem knirschenden Geräusch fügten sich die beiden Enden zusammen. Danach sah das Bein bis auf die Schwellung fast wieder normal aus.
    Simon ließ einen seiner Helfer eine Schale mit einer Kräuterpaste holen, mit der er die Wunde bestrich. Anschließend wickelte er mit flinken Fingern eine Bandage um den Oberschenkel. Danach stützte er die Bruchstelle mit zwei starken Holzschienen, um dann das ganze Bein von der Hüfte bis zum Fußknöchel mit einer weiteren Bandage straff zu umwickeln. Als der Verletzte wenige Augenblicke später das Bewusstsein wiedererlangte, war bereits alles vorbei.
    Helfer brachten ihn in einen der benachbarten Räume. Durch die offenen Flügeltüren sah Sanchia, dass es dort mehrere hölzerne Bettgestelle gab, auf denen Kranke und Verletzte lagen. Albiera hatte sich aufgerichtet und wandte sich prüfend zu Sanchia um.
    »Alles in Ordnung?«
    Sanchia nickte. Dies war keine Frage, die einer längeren Antwort bedurft hätte.
    Albiera ging in einen schmalen, lang gezogenen Flur, wo Regale an den Wänden standen, in denen saubere Wäsche lag. Auf einem Ständer befand sich eine Schale mit Essigwasser, in dem Albiera sich sorgfältig die Hände wusch. »Ich hätte es machen sollen, bevor ich die Wunde versorgte«, erläuterte sie. »Manchmal vergesse ich es noch. Wunden bilden weniger Schwären und Fäulnis aus, wenn die Hände, mit denen man sie berührt, frei von Schmutz sind. Simon hat das über die Jahre hinweg beobachten können. Man hört es auch von anderer Seite, obwohl die meisten Medici und Barbieri nur darüber lachen, wenn man es ihnen erzählt.«
    »Seid Ihr ein Medicus?«, platzte Sanchia heraus. Gleich darauf fühlte sie, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss, weil sie so dreist gefragt hatte.
    »Wenn, dann müsste es Medica heißen.« Albiera lächelte verschmitzt. Offensichtlich fand sie die Frage alles andere als aufdringlich. »Lateinische Deklinationen waren allerdings auch nie meine Stärke.« Sie schüttelte den Kopf und fügte etwas ernster hinzu: »Frauen dürfen nicht studieren. Sie dürfen weder einen freien Beruf erlernen noch werden sie je zu den Arte zugelassen. Frauen, die ein Handwerk ausüben dürfen, müssen erst geboren werden.«
    »Aber Ihr habt Latein gelernt!«
    »Das ist richtig. Sogar Griechisch und Philosophie. Und Mathematik. Das lag mir weit mehr, ich gebe es zu.«
    »Aber wie …« Sanchia stockte, als ihr aufging, dass die Fragen nur so aus ihr heraussprudeln wollten. Es stand ihr nicht an, die Äbtissin auf diese Weise zu belästigen. Ganz zu schweigen davon, dass sie besser daran tat, ihr Plappermaul im Zaum zu halten.
    »Meine Brüder hatten Unterricht«, fuhr Albiera fort, als hätte Sanchia die Frage zu Ende formuliert. »Meine beiden älteren Schwestern stürzten sich wie Harpyien auf die Vorbereitungen ihrer Hochzeitsfeiern. Während sie mit meinen

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