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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Eltern ständige Debatten über die Höhe ihrer Mitgift führten, blieb mir und meiner jüngeren Schwester nur der Weg ins Kloster. Aber vorher habe ich den Umweg durch die Schulstube meiner Brüder gemacht. Sehr zur Verzweiflung unseres Hauslehrers.« Sie warf den Kopf zurück und lachte, ein offenes Lachen, das ihre starken, gesunden Zähne zeigte. Hier und da waren sie ein wenig schief gewachsen, aber es war keine einzige schwarze Stelle zu sehen.
    Sanchia folgte der Äbtissin auf deren Weg durch die Krankenstationen. In fast allen Räumen blieb Albiera stehen, um die Versorgung der Verletzten zu überwachen oder Ratschläge zu erteilen. Einem Mann nähte sie eine klaffende Wunde quer über der Stirn und eine weitere an seiner Schulter, einem anderen richtete sie einen Bruch des Unterschenkels. Ein älterer Mann litt an starken Verbrennungen am Rücken. Albiera bestrich die dunkelrote, blasige Haut mit einer lindernden Salbe und bedeckte die Stelle mit einem großen Stück reinen Leinens.
    Am Krankenlager eines etwa vierjährigen Jungen hielt sie inne. Der Kleine war blass und wimmerte vor Schmerzen.
    Die Äbtissin betastete vorsichtig den Bauch des Kindes, das sich darauf noch stärker zusammenkrümmte.
    »Wie lange geht das schon?«, fragte Albiera die ausgemergelte, nach Hühnermist stinkende Frau, die neben der Bettstatt auf einem Kissen aus Lumpen hockte.
    »Was denn?«, fragte die Alte.
    »Das Fieber und der aufgetriebene Leib. Die Schmerzen.«
    Die Frau zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich habe zehn Kinder im Haus, drei davon noch in den Windeln. Wie soll man da auf alle achten! Heute früh fing er an zu weinen, aber es kann sein, dass er gestern schon Schmerzen hatte.« Widerstrebend setzte sie hinzu: »Er hat in der Nacht nicht geschlafen.«
    »Seid Ihr die Mutter oder die Großmutter?«
    »Die Großmutter. Ich muss auch gleich wieder heim, es passt niemand auf die anderen auf.« Besorgt blickte sie auf. »Er wird doch wieder, oder?«
    »Kommt mit mir in den Gang hinaus.«
    Die Alte stemmte sich ächzend in die Höhe und setzte sich mit unwilligem Gemurmel in Bewegung.
    Auf dem Gang meinte Albiera: »Alles, was Ihr für ihn tun könnt, ist beten. Er wird morgen oder übermorgen sterben.«
    Die alte Frau bekreuzigte sich, dann wandte sie den Kopf zur Seite. »Kann es an Dingen liegen, die er gegessen hat?«
    »Falls Ihr darauf anspielt, dass Euch jemand vorwerfen würde, er hätte zu wenig oder die falsche Nahrung bekommen, so könnt Ihr beruhigt sein. Diese Krankheit tritt unabhängig davon auf. Es ist eine innere Entzündung, gegen die es keine Heilung gibt. Meist trifft es Kinder, und wenn sie es bekommen, sterben sie auch daran.« Albieras Miene war ernst. Simon kam vorüber, sah, vor welchem Zimmer sie standen, und hob im Weitergehen bedauernd die Schultern.
    »Wenn Ihr eine gute Christin sein wollt, bleibt bis zu seinem Ende bei ihm«, sagte Albiera zu der Großmutter des Jungen. »Betet mit ihm. Gebt ihm Wasser gegen den Durst und haltet seine Hand. Ich werde dafür sorgen, dass ihm ein Mittel gegen die Schmerzen verabreicht wird. Und ich lasse nach einem Priester schicken.«
    Die Alte brach in Wehklagen aus, wobei bald herauszuhören war, dass sie eher sich selbst bemitleidete als den Knaben.
    Albiera wandte sich ab und ging weiter. Sanchia folgte ihr, schockiert über die beiläufige Endgültigkeit, mit der soeben der bevorstehende Tod eines Kindes festgestellt worden war.
    »Das war schlimm gerade, nicht wahr?«, fragte Albiera leise.
    Sanchia nickte.
    »Es ist immer schlimm«, sagte die Äbtissin. »Am schlimmsten ist es aber, wenn es um ein Kind geht. Kinder sind frei von Schuld. In ihnen ist so viel Freude und Lachen und Offenheit. Und dennoch gefällt es dem Herrn oft, sie einfach so sterben zu lassen.«
    Sanchia meinte, einen Hauch Bitterkeit aus ihrer Stimme zu hören, doch war es die Bemerkung über die Schuld, die sie bis ins Innerste traf.
    »Und wenn die Kinder doch Schuld tragen?«, stieß sie unbedacht hervor. »Sollten dann nicht lieber sie sterben als die Eltern?«
    »Was willst du damit sagen?« Albiera runzelte die Stirn. »Sanchia?«
    Sanchia blieb stumm. Eher hätte sie sich die Zunge herausschneiden lassen, als auch nur ein Wort mehr zu sagen.
    Albiera ließ sie in Ruhe und beendete ihren Rundgang. Sanchia hielt sich stumm hinter ihr und schaute ihr zu.
    Ein Mann kam auf sie zugerannt. Nur ein paar Schritte, bevor er sie erreicht hatte, bremste er seinen Lauf ab und kam

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