Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
bekanntgemacht worden«, sagte Albiera betont sachlich. Sie sprach absichtlich von Tatsachen, um seine Möglichkeiten, die Vorhaltungen als Gerüchte oder Lügen abzutun, von vorneherein zu beschneiden.
»Insgesamt haben zehn Nonnen, deren Leumund und familiäre Herkunft über jeden Zweifel erhaben ist, mir fortdauernd Bericht über Eure Untersuchungstätigkeit erstattet. Namen und Inhalte habe ich selbstverständlich protokolliert, aber zum Schutze der jeweiligen Damen sehe ich davon ab, sie beim derzeitigen Stand der Untersuchungen bekanntzumachen.«
Die Aussage hinter ihren Worten war klar. Sie konnte die vernichtende Keule jederzeit hervorholen, wenn sie es nur wollte. Dass die Entscheidung darüber auch bei ihm lag, machte sie ihm mit ihren nächsten Worten begreiflich.
»Vermutlich ist die Zeit Eurer Inspektionen hier abgeschlossen. Sicher hat Euer diesjähriger Aufenthalt nichts Neues ergeben. Die Lebensumstände in diesem Kloster sind gewiss auch in den Augen eines so gestrengen Ordensbruders, wie Ihr es seid, in einem Maße ohne Fehl und Tadel, dass es sogar den Patriarchen überraschen wird.«
Die Drohung hinter diesen Sätzen war so präsent wie ein scharf geschliffenes Fallbeil. Ambrosio schien es jedenfalls so zu empfinden, denn er schob den gekrümmten Zeigefinger zwischen den Kragen seiner Kutte und seinen Kropf, um sich Luft zu verschaffen. Auf seiner Stirn stand Schweiß, und seine Hand zitterte.
»Ich habe nichts getan«, sagte er mit krächzender Stimme.
Albiera war überrascht, dass er allen Ernstes versuchte, sich zu wehren. Die Beweislage hätte kaum klarer sein können, und es hatte dazu nicht einmal eines Hauchs von Manipulation bedurft.
»Nennt Ihr es nichts , abends in das Zimmer unzureichend bekleideter Schwestern hineinzuplatzen? Sie körperlich zu berühren? Sie zu schelten, dass sie verschwenderisch kochen und backen, aber zugleich von ihnen Essen zu nehmen?«
So absurd es vielleicht auch war, aber vor allem die letzte Anklage schien ihm am meisten zuzusetzen. Für sein Auftreten gegenüber den Nonnen hätte er allerlei Ausreden erfinden können. Berührungen konnten segnend sein, die unzureichende Bekleidung war Fallfrage und nicht gut genug durch Zeugen abgesichert. Und nackt war tatsächlich keine einzige der Nonnen gewesen.
Aber die Annahme von Essen bedeutete einen schwer wiegenden Vorwurf, zumal es für sämtliche Vorfälle dieser Art zahlreiche Augenzeugen gab. Er hatte nicht nur jenen Korb mit Feigen angenommen, sondern darüber hinaus fast täglich weitere Spezereien akzeptiert. Zum Schluss hatte er sogar ganz ungeniert in der Küche zusätzliche Rationen abgeholt und mitgenommen.
Albiera dachte, dass es im Grunde grausam war, ihm ausgerechnet das vorzuwerfen, war es doch von all seinen Gemeinheiten eine eher lässliche Sünde und zudem so weit verbreitet, dass es fast die Regel war. Mönche waren so arm, dass es einen dauern konnte, und wovon sollten sie leben, wenn nicht von der Mildtätigkeit ihrer Mitmenschen? Nicht selten litten sie Hunger, weil sie außerhalb ihrer eigenen Klöster nicht mit regelmäßiger Beköstigung rechnen durften.
Doch natürlich galt es auch hier, die Vorschriften zu beachten, auf denen gerade dieser Mönch sonst so gerne herumritt. Er hätte jederzeit außerhalb des Klosters zusätzliche Mahlzeiten erbitten können, was ihm kaum jemand verweigert hätte. Sich von Nonnen beköstigen zu lassen war jedoch verpönt. Essen zu geben war gleichbedeutend mit Liebe geben, und diese gebührte allein ihrem Bräutigam – dem Herrn Jesus Christus. In Kombination mit den anderen Vorwürfen, die gegen Ambrosio im Raum standen, brachte ihn das an den Rand der Verbannung, wenn nicht gar der Exkommunikation.
Der Dominikaner war sich dessen zweifellos bewusst, denn wenn irgend möglich, war er noch bleicher geworden.
»Was wollt Ihr von mir?«, brachte er mühsam heraus.
»Dass Ihr von hier verschwindet und nicht wiederkehrt«, sagte Albiera freimütig. »Dass Ihr Tullio einen Bericht vorlegt, der nur Gutes über San Lorenzo aussagt.« Nach kurzem Überlegen setzte sie bedächtig hinzu: »Und noch etwas, in Eurem eigenen Interesse: Esst ordentlich Fisch, dann lebt Ihr länger.«
Er streckte die Hand aus, krallte die Finger in ihr Brusttuch und umklammerte zugleich ihre goldene Kette mit dem Kreuz. Albiera stieß einen erschrockenen Laut aus und versuchte, zurückzuweichen, doch er hielt sie unbarmherzig fest. Mit einer ruckartigen Bewegung zerrte er
Weitere Kostenlose Bücher