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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Weg zu einem stadtbekannten Bordell gesichtet worden, und danach blieb er für alle Zeiten verschwunden. Gut möglich, dass er mit durchschnittener Kehle unter irgendeinem Dunghaufen gelandet war. Vielleicht hatte er sich aber auch einfach nur davongemacht. Wie auch immer, das Vieh war weg, ebenso das Geld, und der Bauernhof war unbewirtschaftet. Ein Problem, um das Albiera sich kümmern musste.
    Wenn es doch nur das einzige gewesen wäre! Ein Knirschen über ihrem Kopf rief ihr in Erinnerung, dass es näherliegendere Sorgen gab als einen Bauern in Mestre.
    Der Palazzo, den sie als Domizil und Amtssitz nutzte, war derart baufällig, dass nur noch die Marmorplatten an der Fassade das Haus daran hinderten, einfach zusammenzubrechen und in den Kanal zu fallen. Hin und wieder krachte es im Gebälk, und dann rutschte irgendwo ein Stein aus den morschen Mauern. Die Wände waren feucht, und der Wind fuhr durch jede noch so kleine Ritze. Dachziegel lösten sich bei stärkerem Regen einfach auf, und von den Schnitzereien platzten ganze Stücke ab, wenn man am wenigsten damit rechnete. In der letzten Woche hatte sich quer über die Decke des Portego ein gewaltiger Riss gebildet.
    Albiera würde das Haus noch in diesem Jahr abreißen lassen, denn der Aufenthalt darin war nicht mehr sicher.
    Insgesamt bildete das klösterliche Anwesen inmitten des Kanalgevierts, von dem es umschlossen war, eine ungeordnete und bunt zusammengewürfelte Mischung verwinkelter, meist alter Bauten. Im Laufe der Jahrhunderte waren immer wieder verfallene Häuser abgerissen und neue dazugestückelt worden, ohne Rücksicht auf Stil oder Einheitlichkeit. Die meisten Gebäude waren jedoch beklagenswert verwohnt und abgenutzt. Auch die kleine Kirche und die über vierhundert Jahre alte Kapelle, die dem heiligen Sebastian gewidmet war, waren vom Zahn der Zeit angenagt. Tullio, das ewig wachsame Auge des Patriarchen, hatte bereits sein Missfallen am Zustand des Gotteshauses geäußert, doch Albiera war der Meinung, die Kirche müsste es noch mindestens hundert Jahre tun. Allenfalls die Bestuhlung stand für sie zur Diskussion, aber das war ein überschaubarer finanzieller Posten. Wenn sie aus dem Klostervermögen Geld für neue Baulichkeiten ausschüttete, dann eher für ein weiteres Spital. Sie stand bereits in Verhandlung mit der Scuola dei Calegheri, die einen Teil der Kosten übernehmen wollte, wofür im Gegenzug ein bestimmtes Kontingent an Räumen, Betten und Pflegemitteln für die Schustergilde zur Verfügung stehen würde.
    Ein Klopfen an der Tür brachte ihr zu Bewusstsein, dass weder unbotmäßige Bauern noch baufällige Häuser ihre größte Sorge ausmachten, sondern ein fanatischer Dominikanerpriester.
    »Herein«, rief Albiera. Der herrische Ton in ihrer Stimme war kein Kalkül, sondern entsprang tief empfundener Abneigung.
    Bruder Ambrosio betrat ihr Arbeitszimmer. Es befand sich im Mezzanin des Palazzo und lag zum Kanal hin, wo es zwar schlechter roch als an der Landseite, aber dafür einen Ausblick von deutlich weltlicherem Gepräge bot. Die Abgeschiedenheit des Klosters mochte Vorzüge haben, aber man vergaß dabei leicht, dass die Welt da draußen genauso wichtig war. Auf belebte Gassen und fließendes Wasser zu schauen war eine gute Methode, das nicht aus dem Auge zu verlieren.
    »Setzt Euch.«
    Der Mönch ließ sich auf den einzigen Hocker sinken, der vor ihrem Lesetisch stand. Sie hatte eigens vorher den Besuchersessel, der sonst hier stand, wegräumen lassen. Der Hocker war um einiges niedriger, und wenn ein Mann darauf saß, während sie stand, wurde er zwangsläufig zum Zwerg.    
    Albiera kam hinter ihrem Schreibpult hervor, legte einige gesiegelte Dokumente auf den großen Tisch in der Mitte des Raumes und bewegte sich dann auf den Mönch zu, bis sie direkt vor ihm stand. »Behaltet Platz«, befahl sie unwirsch, als er Anstalten machte, sich zu erheben.
    Er sah schlecht aus. Sein Teint, ohnehin immer eher bleich, war heute von einer noch ungesünderen Farbe, fast wie Schimmel, und seine Augen waren blutunterlaufen. Offensichtlich hatte er die letzte Nacht nicht gut geschlafen.
    Es würde ihm nicht besser gehen, wenn er erst hörte, was sie ihm zu sagen hatte. Vermutlich wusste er, was er zu erwarten hatte, sonst hätte nicht dieses kaum wahrnehmbare Flackern in seinen Augen gestanden. Er verbarg seine Sorge meisterlich, doch Albiera war geschult im Betrachten von Gesichtern. Er hatte Angst.
    »Mir sind bestimmte Tatsachen

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