Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
schneller für die Verbreitung der Seuche sorgen.
Einige Nonnen standen auf der Loggia vor dem Refektorium, und andere hatten sich im Hof und im Kreuzgang versammelt, wo sie die Köpfe zusammensteckten und tuschelten.
Albiera betrachtete sie, und die Angst strich mit eisigen Fingern über ihren Rücken. So viele Kinder, dachte sie.
Als die Mädchen und Frauen sie näherkommen sahen, verstummten sie. Nur hier und da waren noch Gesprächsfetzen zu hören. Ein Wort war dabei, das sich mehrfach wiederholte und dessen Klang niemals ausreichen würde, um das Grauen zu beschreiben, das sich dahinter verbarg.
Und doch war es hier, mitten unter ihnen, so gegenwärtig und scheinbar selbstverständlich, als hätte Gott in seinem unerforschlichen Ratschluss im Vorübergehen einen Finger ausgestreckt, um mit einer einzigen beiläufigen Berührung diesen Ort in eine Stätte der Bresthaften zu verwandeln.
Eines der kleineren Mädchen fing an zu weinen und hielt sich an einer erwachsenen Nonne fest. Die legte eine Hand auf die Stirn des Kindes und fuhr entsetzt zurück. »Sie glüht!«, rief sie. Von allen Seiten erhob sich Geschrei, so laut, dass es sich an den Klostermauern brach. Albiera hob beide Hände, um sich Gehör zu verschaffen. Doch was sie zu sagen hatte, wussten hier ohnehin schon alle.
In San Lorenzo war die Pest ausgebrochen.
Die Nonnen beteten den ganzen Mittag über auf der Chorempore, obwohl die Äbtissin sie angewiesen hatte, die nächsten Tage außerhalb der Gemeinschaft in den Zellen zu verbringen. Sie hatte das kranke Mädchen in ihre Wohnräume schaffen lassen und den anderen Nonnen eingeschärft, sofort jeden weiteren Krankheitsfall bei Schwester Annunziata zu melden.
Noch während der Non war eine ältere Nonne mit Fieber und Schüttelfrost zusammengebrochen. Bis zum Abend lagen vier weitere Frauen krank im Quartier der Äbtissin.
Albiera, Schwester Annunziata und der Arzt gingen schweigend von einem Lager zum anderen und taten, was sie konnten. Viel war es nicht. Sie verschafften den Kranken Kühlung durch Leinen, das in kaltem Wasser eingeweicht war. Sie träufelten verdünnten Wein zwischen die aufgesprungenen Lippen der Patienten und deckten sie mit leichten Tüchern zu, wenn sie trotz des Fiebers vor Kälte zitterten. Ein Kräutersud aus Theriak sollte helfen, das Fieber zu senken, richtete aber kaum etwas aus.
Zwei Converse, die in ihrer Kindheit die Pest überlebt hatten, halfen bei der Pflege, die anderen hielten sich fern und blieben auf ihren Zimmern. Doch es nützte nicht viel. Am nächsten Morgen lagen sechs Nonnen fiebernd in ihren Betten und mussten ebenfalls versorgt werden. Der Palazzo wurde in ein behelfsmäßiges Spital umgewandelt, und Albiera verbot strikt, die Tore für Besucher zu öffnen. Auch durfte niemand das Klostergelände verlassen. Schließlich wurde es im Palazzo zu eng für die vielen Kranken. Alle weiteren vom Fieber befallenen Frauen mussten in ihren Zellen bleiben.
Am Morgen des dritten Tages gab es die ersten Toten. Es waren zwei Nonnen, die sich eine Kammer teilten, im selben Gang, in dem auch Sanchia und Eleonora ihre Zelle hatten.
Schon in der Nacht hatten sie angefangen zu husten und blutigen Auswurf hervorgebracht. Stunde um Stunde hörten die Mädchen die Pflegerinnen hin und her laufen und Gebete sprechen, immer wieder übertönt von dem zähen, rasselnden Husten.
Kurz nachdem die Glocke zur Prim geläutet hatte, war lautes Weinen aus der Kammer am Ende des Ganges zu hören. Eine der Nonnen, ein fünfzehnjähriges Mädchen aus der Familie der Tiepolo, hatte ihren letzten Atemzug getan. Zwei Stunden später starb ihre Cousine aus der Sippe der Dandolo, achtzehn Jahre alt.
Albiera breitete eigenhändig die Leichentücher über die beiden jungen, im Tod entstellten Gesichter und lehnte anschließend mit trockenen Augen an der Wand, mit ihrem Glauben hadernd und nur um Haaresbreite davon entfernt, ihre Wut über ein solches Unrecht hinauszuschreien.
Gott hatte sich einen wahrhaft würdigen Überbringer für die Aussaat des Bösen gesucht.
Albiera hatte in der schäbigen Behausung des Mönchs mehrere tote Ratten gefunden, steif und verquollen von den Anzeichen der Krankheit. Ambrosio lebte in einem dreckigen Loch von Mietshaus, das zu den Besitztümern des Dominikanerordens gehörte und das sich unweit vom Arsenal befand, eine wahre Brutstätte für Krankheiten und Ungeziefer aller Art. Die Ratten waren ein Zeichen dafür, dass die giftigen Dünste, die
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