Die Mächte des Feuers
Haifischaugen.
Im Gehen wuchs sein Hals, und aus dem Menschenkopf wurde der Schädel eines schwarzen Drachen mit gelben Augen. Der Hals weitete sich, fünf weitere erwuchsen daraus, die mit nicht weniger hässlichen Köpfen geziert wurden. Grigorij erkannte den Drachen aus seiner ersten Vision – doch er besaß einen Schädel mehr als beim letzten Mal!
Er schrie Silena eine Warnung zu, aber sie hörte ihn nicht. Sie fuhr sich durch die Haare, drehte das Gesicht in die Sonnenstrahlen und lächelte glücklich.
Der Manndrache blieb stehen und sah Grigorij an. Sie sind der Russe, dieser Hellseher, vernahm er die Stimme im Kopf. Mein Kompliment. Sie sind gut, aber es wird Ihnen nichts nützen. Er setzte seinen Weg fort und kam hinter Silena zum Stehen. Versuchen Sie, mich aufzuhalten, Fürst. Eine Hand, die sich ebenfalls schwarz gefärbt hatte und Klauen anstelle von Fingern aufwies, zuckte nach vorn und hielt einen Millimeter von ihrem Nacken entfernt inne. Ich zerstöre sie, Zadornov. Wie alle Drachentöter. Sie vergehen zu Asche wie die Alte Welt. Wie die Altvorderen, die sie regieren.
Grigorij tastete unter die Achsel, wo er eine Waffe versteckt trug, und berührte Haut. Erschrocken sah er an sich hinab und bemerkte, dass er nackt war.
Als er den Kopf wieder hob, sah er einen Felsen mit Befestigungen und einer Kathedrale oben auf der Spitze, der vom Meer umspült war, und zu dem ein einsamer Damm führte. Die Wolken zogen doppelt so schnell über ihn hinweg, und die See warf sich mit aller Macht gegen die Steine; Gischt sprühte die Mauern hinauf, bis zum Kirchengebäude, um deren Turm ein Schwarm Vögel kreiste.
Vögel? Grigorij sah genauer hin und erkannte – Drachen! Kleine Drachen zogen ihre Bahnen darum.
Dann bemerkte er das Wesen, das sie im Münchner Café überfallen hatte, und auch die Kreatur, die ihn in London angefallen hatte. Gargoyles!
Die Sicht auf die Kathedrale im Meer verschwand, und die Kabine der Droschke sickerte durch die letzten Eindrücke seiner Vision. Er sah Silenas besorgtes Gesicht vor sich.
»Fürst?«, erkundigte sie sich. »Was … haben Sie gesehen?«
»Erschreckendes.« Rasch beschrieb er den Mann, ohne näher auf die sonstigen Umstände einzugehen, um die Drachentöterin nicht zu kompromittieren. »Dann wuchsen ihm sechs Drachenköpfe, und er hat versucht, Sie zu töten, Großmeisterin.«
»Sie haben Eris Mandrake exakt beschrieben. Doch der schwarze Drache – hatte er nicht fünf Köpfe?«, meinte Silena und stieg aus.
»Ich weiß nicht, wie ich meine Vision verstehen soll«, gab der Fürst zu und folgte ihr. Er hielt sich immer in ihrer Nähe, um sie gegebenenfalls stützen zu können. »Heißt es, dass Mandrake so gefährlich wie ein Drache ist oder dass er ein Drache ist, der seine Gestalt verändern kann und als Mensch erscheint?«
»Ich weiß es nicht. Aber die Insel, die darin vorkam, kann der Mont-Saint-Michel gewesen sein.«
Sie betraten die Halle, in der sich sehr viele Menschen versammelt hatten. Sie stießen in ein Sprachengewirr, Deutsch und Österreichisch mischten sich mit anderen Zungenschlägen, die dem Klang nach aus dem Osten stammten. Sie nahm an, dass der Teil der Demonstranten, der nicht zusammengeknüppelt und verhaftet worden war, so schnell wie möglich aus Innsbruck fliehen wollte. »Ich hoffe sehr, wir bekommen überhaupt einen Platz?«
»Das wird schon«, machte Grigorij Mut und schob sich neben sie, um einen Mann abzuwehren, der in ihre Richtung stolperte. Er bewahrte ihn vor dem Sturz und dem Zusammenprall mit Silena.
»Danke sehr, Fürst.« Silena nutzte einen vor ihr stehenden Gepäckträger wie einen Rammbock und schob ihn durch die Menge in Richtung der Gleise.
Pfeifend und Wasserdampf ablassend stand die Lok bereit, weitere Wagons wurden für die Fahrt in die bayerische Landeshauptstadt angehängt.
»Nichts zu danken.« Er eilte hinterher, half ihr beim Einsteigen und musterte dabei ihre Oberschenkel. Er hoffte, dass sich die Strumpfbänder unter dem Hosenstoff abzeichneten. Dass sie einen seidenen Büstenhalter trug, hatte er vorher schon gewusst. Er fand es sehr reizvoll, dass sich die Großmeisterin trotz allem ihre Weiblichkeit bewahrt hatte, wenn auch im Verborgenen. »Ist denn bekannt, ob Drachen die Form von Menschen annehmen können?«
»Nicht dass ich wüsste. Aber wie ich schon einmal erwähnte: In der Theorie war ich selten gut.« Sie humpelte den Gang entlang und fand in einem Abteil der ersten Klasse tatsächlich
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