Die Mächte des Feuers
ein Ziehen in der Seite und hielt die Luft an, wartete, bis der Schmerz vergangen war. Die Nähte zogen an den Wundrändern und zurrten sie wie ein Mieder zusammen. »Schon allein aus Rache an ihnen haben Sie meine Erlaubnis, die armen Schweine auch in Zukunft zusammenzuflicken.«
Er strahlte und verneigte sich. »Danke, Großmeisterin!«
»Aber«, sie friemelte den letzten Knopf ins Loch, »sollten Sie dabei erwischt werden, habe ich Ihnen diese Erlaubnis niemals erteilt.« Sie reichte ihm das Blatt, auf dem sie die Meldung an das Hauptquartier niedergeschrieben hatte. »Und Sie werden zu niemandem ein Wort über meine Unterwäsche verlieren, haben wir uns verstanden?«
»Sicher. Laut und deutlich, Großmeisterin.« Er legte ihr eine frische Uniform raus, damit sie nicht in ihre blutige, durchlöcherte schlüpfen musste, und half ihr beim Anziehen. Sie ließ die Hilfe zu. »Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.«
»Nein, sind Sie nicht. Ich finde es eine Sauerei, was der Kaiser unternimmt, nur damit die Doppelmonarchie bestehen bleibt. Sehen Sie es als meinen Beitrag zur Revolution, die früher oder später losbrechen wird.« Sie biss die Zähne zusammen, zog den Ledermantel enger und behielt das Schwert in der Hand. »Sobald ich weg bin, setzen Sie den Erzbischof in Kenntnis, dass Innsbruck ein Drachennest ist. Meiden Sie die Herrengasse, bis die Drachentöter hier waren und die Tunnel unter der Stadt gesäubert haben.«
»Unter der Stadt?«
»Ganz recht. Ein Gangsystem für einen Wurmdrachen, der wohl schon etliche Dekaden hier haust.«
»Erstaunlich. Darüber wurde niemals etwas bekannt. Nicht einmal bei Bau- oder Ausschachtungsarbeiten…«
»Der Kriechteufel wird gewusst haben, wie er sich und seine Bauten tarnt.« Silena nahm den Zettel und notierte Drachenfreunde in Innsbruck? darauf. Man wusste nie. »Halten Sie die Augen offen, Herr Wagner.«
»Das tue ich. Und was die Revolution im Kaiserreich angeht: Sie haben vermutlich Recht. Der Weltkrieg hat Kaiser Franz Joseph nur einen Aufschub gewährt.« Wagner seufzte. »Wir brauchten wieder eine Kaiserin Sissi. Oder zumindest müsste Erzherzogin Marie Valerie auf den Thron, dann gäben die Ungarn Ruhe. Aber Gott nimmt unseren Kaiser einfach nicht zu sich.«
Silena lächelte. »Sie sind ein echter Revoluzzer, Herr Wagner. Kein Wunder, dass Sie Demonstranten verarzten.« Sie ging langsam zur Tür und kehrte in das Büro des Sekretärs zurück, das mehr einem Lazarett glich.
Zu ihrem Erstaunen hatte Zadornov den Gehrock abgelegt, die Ärmel seines Hemdes nach oben gekrempelt und besserte die Verbände nach. Er machte es sehr geschickt.
»Das sind die Erfahrungen aus meinen Duellen, wissen Sie noch, Großmeisterin?«, sagte er und ließ die Wunde dabei nicht aus den Augen. »Ich erzählte Ihnen davon.« Er legte den Verband darüber, dann säuberte er sich die Hände am Waschbecken. »Wie kommen wir schleunigst nach…«
»…an unser Ziel«, fiel sie ihm ins Wort. Niemand musste wissen, wohin sie reisten. Sie bemerkte, dass er schon wieder ihre Frage beantwortet hatte, obwohl sie kein Wort gesagt hatte.
»Genau. Die Theben ist auf dem Weg an die Nordsee.«
»Bleibt uns der Zug, um zurück nach München zu fahren.« Sie marschierte an ihm vorbei. »Nehmen Sie Ihre Sachen, wir müssen los. Ich…«
Eine Erschütterung lief durch das Haus, die Gläser auf dem Tisch tanzten. Silena verlor das Gleichgewicht und wurde von Grigorij aufgefangen. Sie schaute nach oben, sah in die blauen Augen und dachte unerklärlicherweise an Eris. Die Szene erinnerte sie zu sehr an den Abend im Coco Club. Und den gestohlenen Kuss.
Der Russe lächelte sie an und stellte sie gerade hin, wie man es mit kleinen Kindern tat, die Laufen übten.
»Hoppla, Großmeisterin. So stürmisch? Finden Sie mich doch anziehend?«, neckte er sie.
Entdeckte sie dieses Mal Unsicherheit in den Augen? »Wenn wir beide Magneten wären, Fürst«, sagte sie und öffnete die Tür, »würden wir uns abstoßen und uns nur über eine gewisse Distanz hin verstehen.« Silena sah auf die Straße. Vereinzelt lagen herabgefallene Schindeln auf dem Pflaster, leere Blumenkübel waren von den Simsen in die Tiefe gestürzt, doch ansonsten war nichts geschehen. »Ein Erdbeben?«
»Kann sein, Großmeisterin. Es wäre allerdings mehr als ungewöhnlich.« Wagner kam zu ihnen und warf ebenfalls einen sondierenden Blick ins Freie. »Oder eine große Lawine, die es bis nach unten geschafft hat.«
»Ist ja nichts
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