Die Mächte des Feuers
verschwunden.
Müde wartete Silena um kurz vor neun Uhr vor dem Museum auf den Geheimagenten. Ihre Augen brannten vom vielen Lesen, und ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Sie sehnte sich nach etwas zu trinken und hätte einen See leeren können.
Ein wuchtiges schwarzes Automobil hielt vor ihr an, der Motor tuckerte leise. Eris' Kopf erschien am Seitenfenster. »Was ist? Wollen Sie Wurzeln schlagen, Silena?«
»Ein schönes Automobil«, lobte sie und öffnete die Tür, stieg ein. Es roch neu und gepflegt. Kein Wunder, dieser Marmon-Typus war das neueste Modell. »Als Agent verdient man kein schlechtes Geld, ist das möglich?«, neckte sie ihn mit einem Lächeln.
»Ich riskiere tagtäglich mein Leben für Ihre Majestät, da kann man sich in den anderen Momenten auch etwas leisten«, gab er zurück und fuhr los.
Die Beschleunigung des Marmon presste Silena in den Sitz, und sie grinste. Die Vorliebe für hohe Geschwindigkeit teilten sie zumindest. »Sind Sie schon mal mit vierhundert Sachen durch die Gegend gefahren?«, fragte sie und wusste, dass die Antwort nur ›nein‹ sein konnte.
»Mein Rekord steht bei siebenhundert Sachen.« Er zog den Motor weit nach oben, der Zeiger des Drehzahlmessers landete beim Schalten von Gang zu Gang fast immer am Anschlag. »Eine umgebaute Macchi. In Lakehurst war letztes Jahr ein Flugzeugrennen, und da durfte ich bei einem Piloten einsteigen. So eine Angst habe ich bei keinem Auftrag gespürt.«
Silena schwieg. Es würde schwierig werden, Eris nach einem solchen Erlebnis mit etwas beeindrucken zu können.
»Zuerst dachte ich an ein wenig argentinischen Tango oder einen Foxtrott mit Ihnen.« Der Marmon bog ab und rauschte in eine Seitenstraße. »Aber dann sagte ich mir, dass Sie sicher gern etwas erleben würden.«
»Glauben Sie mir, ich erlebe beinahe täglich etwas«, lachte sie.
»Außerhalb der Drachenjagd. Sie sind mehr der zurückhaltende Typ Frau, habe ich gehört.«
Silena ärgerte sich. »Wer behauptet denn so etwas?«
Eris zwinkerte. »Ich bin Geheimagent und habe meine Quellen. Ich habe uns einen Tisch im Coco Club reserviert. Ich hoffe, Sie mögen Charleston und Jazz?«
»Sehr sogar!« Silena freute sich, noch eine Übereinstimmung gefunden zu haben. Schon wieder fühlte sie sich wie ein kleines Mädchen.
»Dann habe ich genau das Richtige für uns gefunden.« Er bog wieder ab und hielt nach ein paar hundert Metern vor einem Haus mit einer bunten Lichterreklame, die ihr taghelles Licht gegen die Wände der umstehenden Gebäude und die Straße warf; die Pfützen auf dem Kopfsteinpflaster reflektierten die grelle Reklame: The Coco Club.
Eris hielt vor dem Eingang an, stieg aus und warf einem der wartenden Pagen den Schlüssel zu. Dann bot er Silena seinen Arm. »Kommen Sie und staunen Sie, was man in London unter Vergnügen versteht.«
Sie nahm sein Angebot an.
Arm in Arm gingen sie durch die Tür, die ihnen von einem breit gebauten Afrikaner geöffnet wurde. Er trug eine ein wenig zu klein geratene Melone und einen schwarzen Anzug; die weißen Gamaschen, Manschetten und der weiße Schlips stachen dadurch besonders hervor. Ein dicker Vorhang, durch den die Klänge einer Big Band tönten, schirmte den Raum hinter der Tür vor Blicken ab.
Der Afrikaner tippte sich an den Hutrand. »Guten Abend, Mister Mandrake. Schön, Sie wieder bei uns zu haben.«
»Danke, Joe.« Er nahm mit seiner freien Hand fünf Pfundnoten aus der Tasche und drückte sie dem Türsteher diskret in die Hand. »Wer spielt heute Abend?«
»Oh, das wird Ihnen gefallen, Sir. Wir haben die Creole Jazz Band engagiert, und Misses Josephine Baker ist auch da. Ein Tanz, wild wie im Dschungel«, blinzelte er. »Viel Spaß, meine Herrschaften.« Er verneigte sich, und sie schritten an ihm vorbei durch den Vorhang.
Die mitreißenden Jazzklänge stürzten sich auf Eris und Silena, schwappten in die Ohren und verbreiteten sofort gute Laune. Die Stunden in dem kleinen abgeschirmten Keller des Museums waren längst vergessen.
Der Club bestand aus zwei Etagen, die untere beherbergte Tanzfläche, Bühne und Orchesterbereich, eine Bar und viele Tische, die zweite diente als Galerie, von der aus man die Tänzerinnen und Tänzer noch besser beobachten konnte.
Die Frauen trugen schicke Kleidchen und lagen im Wettstreit, wie wenig Stoff man an den Leib ziehen konnte, ohne vollkommen nackt zu sein. Perlenkäppchen, mehrschlaufige Ketten, Federboas, Federschmuck im Haar – sie zeigten sich sehr
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