Die Mächte des Feuers
Großmeisterin«, zwinkerte er. »Habe ich Ihren Zorn durch irgendetwas verdient?«
»Mister Mandrake…«
»Sagen Sie Eris zu mir, Großmeisterin. Mein Vorname dürfte für Sie weniger irritierend sein als mein Familienname.« Er stellte das Tablett auf einen Bücherstapel, schenkte Tee aus und reichte ihr eine Tasse.
»Danke. Das tue ich gern.« Sie nahm die Tasse entgegen und auch den Keks, den er ihr hinhielt.
»Mir ist gesagt worden, dass Sie sich schon über Stunden hier unten verkrochen haben, und da wollte ich Ihnen eine Freude bereiten.« Er nahm ihr gegenüber Platz. »Sie hatten großes Glück, dass Sie den beiden Wahnsinnigen entkamen, Großmeisterin.«
»Sie wissen…?«
»Ich arbeite für den SIS, schon vergessen?«, lächelte er. »Ich habe mir den Polizeibericht senden lassen und nachgelesen, was Sie erlebt haben. Nun bin ich hier, um zu fragen, ob es sich so zugetragen hat oder ob es eine Kleinigkeit gibt, die nicht im Bericht stand.«
Silena biss in den Keks, um den Mund zu füllen. Sie hatte Scotland Yard verschwiegen, dass Zadornov von einem Drachen angefallen worden war. Dummerweise hatte sie vergessen, das Officium nach der Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst Ihrer Majestät zu fragen. Ging es Eris etwas an oder nicht? Rasch schob sie sich den Rest in den Mund, kaute angestrengt.
»Dann sage ich Ihnen, was ich inzwischen erfahren habe.« Eris richtete die dunkelbraunen Augen auf sie. »Einer unserer Spione an den Bahnhöfen hat mir mitgeteilt, dass ein Mann in Paddington Station aufgetaucht sei, der eine Fahrkarte nach Schottland mit dem Ziel Edinburgh löste. Die Beschreibung passte hervorragend zu unserem gesuchten Mister Skelton.«
»Sollte er nicht eher versuchen, von der Insel zu fliehen, als sich in den Norden zu begeben und sich selbst kaum einen Ausweg offen zu halten?«
»Das dachte ich zunächst auch.« Eris langte unter sein Sakko und breitete eine ausgeschnittene Zeitungsmeldung aus. »Die Times hat Werbung für eine Ausstellung im Schloss Edinburgh gemacht. Und jetzt raten Sie, was dort zu sehen ist?« Er grinste, nahm sich einen Keks, betrachtete ihn und schob ihn sich ganz in den Mund.
Silena musste lachen und fühlte Glück, das sehr gut zu dem Kribbeln in ihrem Bauch passte. »Sie sind ein seltsamer Geheimagent, Eris.«
»Das liegt an Ihnen, Großmeisterin«, sprach er undeutlich und hielt sich eine Hand vor den Mund, damit keine Krümel heraus fielen. »Sie haben mich bezaubert. Vom ersten Augenblick an.«
Sie sahen sich in die Augen, und obwohl er seine Bemerkung lustig gemeint hatte, glaubte sie zu erkennen, dass mehr Wahrheit darin lag, als er hatte zugeben wollen – und schon errötete sie wieder. »Verflucht«, sagte sie halblaut.
Er trank Tee, schluckte laut. »Verzeihen Sie meine Worte, Großmeisterin«, entschuldigte er sich sofort und war selbst verblüfft. »Ich … es war ein…«
»Schon gut.« Sie lächelte ihn an. »Sagen Sie Silena zu mir und vergessen Sie den Titel.«
Eris erwiderte die Freundlichkeit mit dem Lachen, auf das sie sich schon gefreut hatte. Wenn das nicht absolut unmöglich war, würde sie annehmen, dass sie dabei war, sich zu verlieben. »Das freut mich. Ich fürchtete schon, ich hätte es mir bei Ihnen verdorben.« Sie stießen mit den Tassen an. »Auf unseren Erfolg.«
Silena fühlte sich überglücklich und vergaß, dass sie sich in einem muffigen Archivkeller befand. Jetzt würde sie gern mit ihm im Luftschiff sein, hoch über den Wolken, jenseits von Drachen und Morden, und die Zweisamkeit genießen.
»Edinburgh?«, erinnerte er sie und pochte auf den Zeitungsausschnitt.
»Ah ja.« Sie beugte sich nach vorn, überflog die Zeilen. »Eine Ausstellung über aufgegebene Drachenhorte in den Highlands?«
»Meiner Ansicht nach passt das doch alles perfekt ins Muster. Die Hamsbridge & Coopers Insurance ist mit der Überwachung der Räume beauftragt worden, ich habe es überprüfen lassen. Mister Skelton gelangt ohne weiteres in die Burg und kann sich umschauen. Ich bin sicher, dass es dort einen ähnlichen Überfall geben wird wie auf dieses Haus.« Er sah sie erwartungsvoll an. »Was halten Sie davon, wenn wir gemeinsam nach Schottland reisen?«
Bevor ihr ein ›liebend gern‹ über die Lippen kam, wiegte sie lieber den Kopf und tat so, als sei sie davon nicht ganz überzeugt. »Ich weiß nicht. Wie soll ich den neuen Mann in der Staffel erklären? Es ist doch ein wenig sehr auffällig.«
Eris machte ein bedauerndes Gesicht.
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