Die Maechtigen
etwas auf einem Bleistift zu suchen?«, erkundige ich mich.
»Beecher, ich weiß, dass Sie alles auf den Culperring schieben, aber ich glaube, Sie lesen zu viele Kriminalromane. Sie sehen überall versteckte Hinweise.« Er wirft mir den Bleistift zu und wäscht sich dann noch einmal die Hände.
»Sie sehen es wirklich nicht?«, frage ich.
»Nein, wirklich nicht. Und selbst wenn … unsichtbare Tinte bleibt unsichtbare Tinte. Seit wann aber sind zufällige Markierungen auf einem Bleistift ein Geheimcode?«
»Vielleicht seit jetzt.«
Ich gebe ihm den Bleistift zurück. Er zieht an dem Radiergummi.
»Der Radiergummi ist fest angebracht. Da ist nichts versteckt.«
»Das können Sie nicht mit Sicherheit sagen«, behauptet Dallas.
»Doch, ich habe ihn mit nach unten genommen und ihn durchleuchten lassen. Er ist nicht hohl.«
Dallas hält den Bleistift ganz nahe an sein Gesicht, er berührt fast seine Bartstoppeln.
»Es könnte auch sehr gut nichts bedeuten«, meint Dallas.
»Es soll jedenfalls nach nichts aussehen. Auch dieses Wörterbuch sollte wie ein einfaches Wörterbuch aussehen. Bis man genau den Richtigen findet, der entziffern kann, was zwischen den Zeilen verborgen ist.«
Dallas sieht mich vom Waschbecken aus an. »Denken Sie an jemanden Bestimmtes?«
Zum ersten Mal ist mir nach Lächeln zumute. »Allerdings, genau das tue ich.«
71. Kapitel
Der Archivar ahnte, dass es Ärger geben würde, als das Handy klingelte.
Es kam von der anderen Seite des Büros, hinten bei Beechers Schreibtisch.
Er kannte den Klingelton; es war die Titelmelodie einer Serie auf dem Geschichtskanal Die letzten Tage des Bürgerkrieges. Jeder im Büro wusste, dass es das Telefon von Dallas war. Aber erst als Dallas anschließend aus seinem Verschlag schoss, wurde der Archivar besorgt.
Allerdings behielt er die Nerven, sprang nicht auf … Er hob noch nicht einmal den Kopf, um über die Trennwand zu blicken.
Stattdessen benutzte er das beste Werkzeug, das ihm zur Verfügung stand … und das jeder Historiker brauchte.
Geduld.
Der Archivar blieb sechzehn Minuten einfach sitzen.
Der Archivar wartete, sechzehn Minuten.
Dann wurde die Tür zum Büro wieder aufgerissen. Dallas stürmte herein und rannte in seinen Verschlag, um sich etwas zu holen. Es klang, als würde er sich seinen Wintermantel überziehen. Kurz darauf spurtete er wieder hinaus.
Der Archivar ließ Dallas genug Zeit, damit er die Treppe hinuntergehen konnte, und benutzte dann das Werkzeug, das ihm in diesem Moment noch zweckmäßiger vorkam als Geduld: das riesige Fenster an seinem Arbeitsplatz, das ihm einen perfekten Ausblick über die Pennsylvania Avenue gewährte.
Der Archivar schaute hinaus und beobachtete zwei bekannte Personen, die aus dem Gebäude herauskamen und die Straße überquerten.
Da waren sie also.
Dallas. Und Beecher.
Dallas und Beecher.
Zusammen.
Das Handy des Archivars vibrierte in seiner Tasche. Was er erwartet hatte. So etwas würde ihnen nicht entgehen.
»Ja, ich sehe es«, sagte der Archivar, nachdem er das Gespräch angenommen hatte.
Während er sprach, hielt ein alter silberner Toyota, Dallas’ Fahrzeug, vor dem Archiv. Dorthin waren Dallas und Beecher also gerannt; sie hatten den Toyota geholt. Und es sah aus, als säße Beecher hinter dem Steuer. Das Auto hielt an, und Dallas sprang heraus. Im fünften Stockwerk konnte der Archivar die durchdrehenden Reifen zwar nicht hören, aber er konnte sehen, dass Beecher mit Vollgas losfuhr.
Als wäre er in einer Mission unterwegs.
Der Archivar war nicht sonderlich begeistert.
Jetzt hatte er absolut keine Wahl mehr.
»Ich weiß … ich sehe es auch«, sagte Totte ins Telefon und drückte die Stirn gegen das kalte Glas der Fensterscheibe, während er Beecher nachsah, als der um die Ecke bog und in der Neunten Straße verschwand. »Nein, ich weiß das nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Ja, natürlich haben wir den Wagen markiert. Es wird Zeit, es den anderen zu sagen«, fuhr Totte fort. »Wir haben uns ganz offiziell ein Problem eingehandelt.«
72. Kapitel
»Wen wollen Sie besuchen?«, fragt die Pförtnerin mit der schrecklichen Jungsfrisur hinter dem Fenster aus Panzerglas.
»Wir stehen auf der Besucherliste.« Ich lege meinen Ausweis in die Klappe und trete ich zur Seite, damit sie sehen kann, wer mich begleitet.
Clementine macht einen Schritt zum Fenster und schiebt ihren Führerschein zusammen mit ihrem Ersatz- Studentenausweis, der sie als Doktorandin ausweist,
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