Die Maechtigen
Dummköpfe in den Horrorfilmen benehmen, die unbedingt herausfinden wollen, wer diese unheimlichen Geräusche im Wald macht. Die Sache ist nur die, dass ich gerade jetzt dringend genau den brauche, der sich in dem Wald versteckt.
Ich beiße die Zähne zusammen und öffne die Tür ein wenig. Ein Hauch von Rosenwasser versetzt mich ein Dutzend Jahre in die Vergangenheit. Es ist derselbe Geruch wie in Clementines altem Haus. Ich beuge mich vor, und mein Nylonmantel kratzt wie Sandpapier über die Tür. Ich recke mich noch ein wenig, um etwas erkennen zu können …
»Was machen Sie hier, verdammt?«, knurrt eine wütende Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und sehe einen großen Pfleger mit braunem Haar vor mir. Ein anderer Pfleger mit Plastikhandschuhen steht neben ihm und hält einen Stapel mit Essensschalen in einem langen Plastikbeutel fest.
»Sie haben hier nichts zu suchen«, schimpft der Pfleger. Er ist ziemlich aufgebracht.
»Der andere Pfleger, der Typ da vorne mit dem weißen Kittel …« Ich stottere und deute in die Richtung, aus der ich gekommen bin. »Er hat gesagt, Nico dürfte Besuch empfangen.«
»Christopher? Christopher ist kein Pfleger. Er bedient nur den Saftwagen. Glauben Sie nicht, dass ich nicht weiß, was Sie hier tun …«
»Ich mache überhaupt nichts.«
»Das behaupten Sie. Aber hier taucht jedes Jahr jemand wie Sie auf, weil er hofft, ein Autogramm zu bekommen oder irgendeinen persönlichen Gegenstand zu ergattern. Erst letztes Jahr hat jemand bei eBay eine Bibel angeboten, die angeblich Nico gehörte. Sie halten das vielleicht für cool, aber Sie haben nicht die geringste Ahnung, wie hart Nico hier arbeitet. Es ist nicht leicht für ihn, okay? Lassen Sie den Mann sein verdammtes Leben führen.«
»Ich bin … Ich möchte … Ich … will nur mein Notizbuch wiederhaben«, erwidere ich.
»Ihr was?«
»Mein Notizbuch. Ich habe ihn vorhin besucht. Wegen einer Forschungsarbeit. Und ich glaube, ich habe mein Notizbuch bei ihm vergessen.«
Der Pfleger legt den Kopf schief und sieht mich volle zwei Sekunden an. Er glaubt mir. Dann deutet er auf die Schwingtüren des Aufenthaltsraumes. »Nico ist bei seiner Hausmeisterarbeit im RMB-Gebäude. Wenn Sie was von ihm wollen, finden Sie ihn da. Ohne seine Zustimmung lasse ich Sie jedenfalls nicht in sein Zimmer. Also, wissen Sie, wo das RMB liegt?«
»Sie meinen das rote Backsteinhaus, stimmt’s?« Ich bin bereits unterwegs zur Tür. Ich erinnere mich daran, dass Nico dort die Katzen gefüttert hat. »Ich weiß genau, wo es ist.«
86. Kapitel
»Ganz schön frisch heute, was?«, meint ein junger Wachmann mit einem großen goldenen Highschool-Football-Ring am Finger, als ich mich gegen den Wind bis zur angenehm warmen Lobby des RMB-Gebäudes durchgekämpft habe.
»Ich komme aus Wisconsin. Für uns ist so ein Wetter der reinste Sommer«, antworte ich, bemüht, locker zu wirken, als ich am Empfangstisch meinen Namen in das Besucherbuch eintrage. »Für wen haben Sie gespielt?« Ich deute auf den goldenen Football, der auf seinem Ring eingraviert ist.
»Floyd County High School. In Virginia«, sagt er. »Sie spielen in der zweiten Liga, aber immerhin … wir sind Landesmeister geworden.«
»Landesmeister.« Ich nicke beifällig, obwohl mich eigentlich nur eins aus der Highschoolzeit interessiert, eine Person.
»Sie kommen wegen Nico?«, fährt der Wachmann fort.
»Wie bitte?«
»Man hat mich angerufen und Sie mir angekündigt. Sie suchen doch Nico?« Bevor ich antworten kann, wird die verschlossene Metalltür, die ins Innere des Gebäudes führt, aufgestoßen, und eine schlaksige, schwarze Frau mit einer hellroten, auffälligen Brille tritt hindurch. Nachdem man mich in Nicos Zimmer überrascht hat, will man mich hier wohl nicht unbeaufsichtigt herumlaufen lassen.
»Vivian bringt Sie zu ihm«, erklärt der Wachmann und winkt mich durch einen offenbar brandneuen Metalldetektor. Als die Pflegerin mit der roten Brille ihren Ausweis durch einen schicken neuen Scanner zieht, um die Metalltür zu öffnen, wird mir klar, dass die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Gebäude eher Hightech sind und man sich hier nicht auf riesige Schlüsselringe verlässt wie die Schwestern und Pfleger im Hauptgebäude.
»Sie sind also Reporter?«, fragt die Frau mit der roten Brille, als sie die Tür öffnet und mich hinein winkt.
»Nein, ich schreibe eine Forschungsarbeit«, widerspreche ich und folge ihr.
»Wie ich sagte, ein Reporter.« Sie macht sich
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