Die Maechtigen
hatte.
Er hatte es gewusst, als er spürte, wie ihn die lange, gerade Klinge des Rasiermessers in seiner Tasche rief.
Er wusste es, als er den silbernen Wagen gesehen hatte, den Beecher fuhr.
Und er wusste es, als er die dünnen schwarzen Buchstaben der beiden Wörter sah, die Dallas auf dem Friedhof ausgesprochen hatte.
Sankt Elizabeth.
Jetzt endlich würde dem übergeordneten Guten Genüge getan werden.
85. Kapitel
Es kostet mich neunzehn Minuten, bis ich Dallas beim Archiv abgesetzt habe, weitere elf Minuten, bis ich mit seinem silberfarbenen Toyota das Sankt Elizabeth erreicht habe, und dann benötige ich noch volle vierzig Sekunden vor dem Gebäude, um mir die ganze Geschichte zurechtzulegen, bevor ich die Eingangstür des Trakts öffne, in dem Nico lebt.
»Es … tut mir sehr leid … ich habe mein Notizbuch oben vergessen.« Ich spiele vor der Wache den Idioten und halte meinen Besucherausweis hoch, den sie mir vor mehr als einer Stunde ausgehändigt hat.
Die weibliche Wache mit der schlechten Jungsfrisur verdreht die Augen.
»Beeilen Sie sich«, sagt sie und öffnet die Stahltür mit einem Klacken. Zum zweiten Mal an diesem Tag gehe ich durch den Metalldetektor.
»Keine Sorge«, erwidere ich. »Ich bin so schnell wie der Blitz.«
Ich bemühe mich stillzustehen, aber mein Körper wiegt sich im Rhythmus des Fahrstuhls. Vor einer Stunde habe ich hier gestanden und Clementines Hand gehalten. Jetzt klammere ich mich an diese Erinnerung, aber sie beruhigt mich nicht im Geringsten.
Als die Aufzugtüren aufgleiten, erwartet mich dieselbe schwarze Pflegerin mit demselben großen Schlüsselring.
»Notizbuch vergessen, was?« Sie lacht. »Hoffentlich stehen keine Telefonnummern darin. Sonst ruft Nico Ihre gesamten Verwandten an.«
Ich zwinge mich zu einem Lachen, als sie wieder die Metalltür öffnet und mich durch den Flur zum Aufenthaltsraum führt.
»Christopher, hilfst du ihm weiter?« Die Frau übergibt mich einem korpulenten Pfleger in einem frisch gestärkten weißen Hemd. »Es kommen gleich noch mehr Besucher hoch.«
Sie lässt uns stehen, und ich werfe einen kurzen Blick in den hell erleuchteten Aufenthaltsraum: Die Patienten sitzen vor etlichen Fernsehgeräten; Schwestern blättern ihre Klemmbretter durch, und natürlich wirft auch jemand gerade Münzen in den Getränkeautomaten. Als ich jedoch zu dem runden Tisch in der Ecke mit der Plexiglasplatte schaue …
Kein Nico.
»Wen wollten Sie noch gleich besuchen?«, erkundigt sich der schwergewichtige Pfleger, während er die Kissen auf einem der vielen durchgesessenen Sofas schüttelt und es gerade rückt.
»Nico.« Ich halte vorsichtshalber meinen Besucherausweis noch einmal hoch. »Ich habe ihn vorhin besucht und offenbar mein Notizbuch bei ihm vergessen.«
Er schaut sich um. Er kennt Nicos Gewohnheiten und fängt mit dem runden Tisch an.
»Er ist bestimmt auf seinem Zimmer. 711«, meint er und deutet auf die Schwingtüren am linken Ende des Raumes. »Sie können ruhig hingehen. Nico darf Gäste in seinem Zimmer empfangen.«
»Ja, klar … ich beeile mich auch«, antworte ich und stoße die Schwingtüren auf. Mir fällt wieder ein, was mir die Wache ganz am Anfang gesagt hat: dass dies ein Krankenhaus und kein Gefängnis wäre. Als ich jedoch den hellen Aufenthaltsraum verlasse und in den erheblich kleineren, erheblich dunkleren und erheblich ruhigeren Flur trete, wird mir schlagartig bewusst, dass ich hier ganz allein bin.
Am Ende des Flures gibt es noch eine Metalltreppe, die jedoch vom Gang durch eine dicke Glastür abgetrennt ist, damit niemand von diesem Stockwerk aus Zugang dazu hat. Ich höre leise Schritte, als jemand ein paar Stockwerke über mir herunterkommt.
Ich komme an mindestens drei Krankenzimmern mit Vorhängeschlössern vorbei. Eine Tür ist damit verschlossen und verriegelt. Ich möchte nicht wissen, wer in diesem Zimmer liegt.
Ich ziehe meinen Wintermantel aus, damit ich nicht so schwitze. Schließlich erreiche ich Raum 711. Auch Nicos Tür hat ein Vorhängeschloss, ist aber nur angelehnt. Das Licht brennt. Aber es scheint niemand drin zu sein.
Ich sehe mich kurz um. An den Schwingtüren steht der Pfleger und beobachtet mich.
»Nico …?«, rufe ich und klopfe vorsichtig an der Tür.
Niemand antwortet.
Irgendwie kenne ich diesen Augenblick. Es ist wie im SCIF: eine unheimliche Tür, ein verbotener Raum und eine spektakuläre Gelegenheit. Damals habe ich zu Orlando gesagt, wir sollten uns nicht wie diese
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