Die Maechtigen
nachmittags bereits verdunkelt. »Deswegen ist die Straße so kurvig und bergig. Ich glaube, die Höhlen liegen direkt unter uns.«
Ich nicke und starre auf mein Smartphone. Das Display schimmert blau, und die Verbindung ist gerade noch gut genug, dass ich die Websites der Fernsehsender aus Washington aufrufen kann, um zu sehen, ob schon jemand über die Geschichte berichtet.
Ich suche nach Nicos Namen … nach meinem Namen … nach den Wörtern Totschlag und Mord . Nichts. Keine Erwähnung des Sankt-Elizabeth-Krankenhauses, kein toter Friseur, und vor allem werde ich nicht als flüchtig gemeldet.
»Verstehen Sie jetzt, warum wir auch nach zweihundert Jahren unerkannt geblieben sind?«, erkundigt sich Dallas. Er versucht unaufhörlich, mich zu beruhigen. Es klappt auch fast, bis ich hinauf in die verschneiten Bäumen blicke und wir an dem rot-weißblauen Straßenschild mit dem Konterfei von George Washington vorbeirauschen.
Willkommen auf dem Washington Trail – 1753.
Es ist zwar nur ein dummer und bedeutungsloser Zufall, aber ich kann mir Nicos Freude vorstellen, wenn er wüsste, dass wir jetzt denselben Weg benutzen, den George Washington 1753 gegangen ist.
»Beecher, hören Sie auf, daran zu denken«, warnt Dallas.
»Sie wissen überhaupt nicht, was ich denke.«
»Ich habe das Schild gesehen. Das ist kein Omen.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
Dallas registriert meinen Tonfall und glaubt mir. »Obwohl es tatsächlich ein etwas gespenstischer Ort ist«, räumt er selbst ein.
»Gespenstisch ist er allerdings.« Ich nicke.
Dallas folgt den engen Kurven immer tiefer in die Berge. In jeder Kurve steht ein Baum mit einem roten Reflektor am Stamm. Hier draußen sind die Straßen nicht beleuchtet, und der winterliche Himmel wird immer schwärzer.
»Sind wir auch wirklich auf dem richtigen Weg?«, frage ich.
Bevor er antworten kann, vibriert das Handy in meiner Hand. Ich werfe einen Blick auf das Display.
»Totte?«, erkundigt sich Dallas.
Ich nicke. Er hat in den letzten Stunden bereits viermal angerufen, und ich bin nicht rangegangen. Ich will unbedingt vermeiden, dass er herausbekommt, wo wir uns gerade herumtreiben.
Dann biegen wir um die letzte Kurve. Wir haben die Berge hinter uns gelassen und werden von einem strahlenden, weit entfernten Licht geblendet. Vor uns liegt ein riesiges Feld, das von Flutlicht taghell erleuchtet wird. Das Rumpeln in meinem Bauch verrät mir, wo wir sind, auch wenn meine Augen es nicht sehen können.
»Das ist es, stimmt’s?«
Dallas antwortet nicht. Er starrt auf einen weißen Schulbus, der langsam über einen hell erleuchteten Parkplatz links von uns rumpelt.
Das einzige andere Lebenszeichen ist ein rotes Leuchtdreieck, das wie ein Firmenlogo aussieht und auf einem kleinen, künstlichen Hügel steht. Es ist der einzige Willkommensgruß. Hierher verirrt sich niemand, der nicht genau weiß, wohin er will.
Direkt hinter dem roten Dreieck liegt die einzige Kreuzung, von der eine schmale gepflasterte Straße links zu einem Hightech-Gebäude für Besucher führt. Die Straße endet am Fuß eines Felshangs nicht weit von uns, der die kleine Schlucht umschließt, durch die wir jetzt fahren.
Doch als wir nach links zu dem Anmeldegebäude abbiegen, sehe ich, dass es keineswegs eine Sackgasse ist. Die Straße führt durch einen schwarzen Schlund, der wie ein Zugtunnel aussieht, in den Felsen hinein und verschwindet dann unter der Erde.
»Bleiben Sie im Auto. Ich komme zu Ihnen«, ruft ein Wachmann mit einem breiten Pennsylvania-Akzent. Er ist aus dem Nichts aufgetaucht und winkt uns zu einem kleinen frei stehenden Wachhaus, das eher wie der Geräteschuppen einer Baustelle aussieht.
Ich schaue wieder nach rechts. Dort stehen zwei weitere Schuppen und einige Bauarbeiter mit Helmen. Das Eingangsgebäude ist offenbar noch im Bau.
»Hier … genau hier.« Der Wachmann zeigt auf einen Platz vor dem Schuppen der Security. Sofort werden wir von zwei Sicherheitskameras erfasst. »Willkommen in Copper Mountain«, fügt er hinzu, als Dallas das Fenster herunterrollt. »Ich nehme an, Sie haben einen Termin?«
101. Kapitel
Mit einem kleinen Golfwagen geht es jetzt hinein in die riesige unterirdische Grube, unser Haar weht dabei im Wind.
»Ich freue mich sehr, Sie beide hier begrüßen zu dürfen«, säuselt Gina, unsere Fahrerin. Sie ist eine kleine überfreundliche Frau mit einer spitzen Hakennase. Ihr Atem riecht nach Rauch. Ihr blondes Haar ist so stramm zu einem Zopf
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