Die Maechtigen
Ohne zu zwinkern, starrt er Dallas an. Seine Abneigung ist nichts Persönliches. Als er siebzig wurde, hat Totte beschlossen, dass es zehn Regeln für ein glückliches Leben gibt. Allerdings hat er mir bislang erst eine davon verraten; sie besagt, ein Archivar sollte sich niemals mit jemandem anfreunden, der behauptet, Roosevelt habe etwas über den bevorstehenden Angriff auf Pearl Harbor gewusst. Denn es gibt nicht ein einziges Blatt Papier in unserem ganzen Gebäude, das eine solche Behauptung erhärten könnte. Ich weiß nur, dass eine andere dieser zehn Regeln etwas mit weißen Baumwollslips und dem Schlüssel zu einem großartigen Sexleben zu tun hat. Weiter sind wir nicht gekommen, denn ich habe ihn schleunigst unterbrochen. Allein bei dem Gedanken daran möchte ich am liebsten blind sein. Und so weit ich weiß, gibt es eine dritte Regel, die mit einem enormen Hass auf Leute verbunden ist, die andere Leute schikanieren, insbesondere Freunde von Totte.
Das Schönste ist jetzt, mit anzusehen, wie Dallas einen halben Schritt zurückweicht. Er weiß genau, woher der Wind weht.
»Ich wollte nur sagen …«, stottert Dallas, »ich wollte Beecher nur sagen, dass ich mir Sorgen gemacht habe wegen …«
»Woher wussten Sie überhaupt, dass ihn jemand angerufen hat?«, erkundigt sich Totte.
»Wie bitte?«
»Als Sie hereingekommen sind«, meint Totte, »haben Sie gesagt, die Security hätte Beecher angerufen. Woher wussten Sie das?«
»Ich … ich war dort«, stammelt Dallas.
»Im Büro der Security?«
»Nein … am Eingang … bei den Metalldetektoren«, erklärt er; er meint den Empfang in der Eingangshalle des Gebäudes. »Dort wartet eine Besucherin, die sehr dringend Beecher sprechen wollte …«
»Eine Besucherin ?«, hake ich ein.
»Ihre Freundin. Die von gestern. Die mit dem Nasenpiercing.«
Totte wirft mir böse Blicke zu. Er hat sie ja schon die Tochter von Lee Oswald genannt. Wenn ich sie jetzt noch mal reinhole, würde er das ganz sicher nicht verstehen.
»Clementine wartet noch unten?«, frage ich Dallas.
»Warum sollte die Security wohl sonst ständig bei Ihnen anrufen?«, gibt Dallas zurück. »Sie haben gesehen, dass Sie in der Garage eingecheckt haben, aber dann sind Sie nicht ans Telefon gegangen …«
Ich schaue Totte an. Er weiß, was er von der Sache zu halten hat. Clementine darf dieses Gebäude nur betreten, wenn ich persönlich hinuntergehe und für sie unterschreibe. Und auch wenn ich auf der Liste der Verdächtigen nicht unbedingt weiter hinaufrutschen möchte, weil ich der Tochter eines Killers helfe, ist es doch am sichersten, wenn sie möglichst wenig Zeit bei der Security verbringt.
Totte …, sagt mein Blick, während ich bereits zur Tür laufe.
Geh nur. Ich pass drauf auf, antwortet sein Nicken. Ich habe nie mehr als drei Minuten und zweiundzwanzig Sekunden gebraucht, um zum Empfang zu kommen. Und jetzt muss ich erst einmal Clementine abfangen, aber oberste Priorität bleibt es, herauszufinden, wer Dustin Gyrich ist und warum er ausgerechnet an dem Tag, an dem uns der Präsident einen Besuch abstatten wollte, das alte Wörterbuch angefordert hat.
»Ich bin ein alter Mann und mag keinen Smalltalk«, sagt Totte zu Dallas und dreht sich zu meinem Computerbildschirm herum. »Deshalb wäre es nett, wenn Sie jetzt bitte augenblicklich verschwinden würden.«
Als Dallas sich zurück in seinen Verschlag und an seinen Schreibtisch trollt, beschleunige ich meine Schritte und biege dann scharf nach links zur Bürotür ab. Als ich sie aufreiße und in den Flur stürme, pralle ich fast gegen die Brust eines Hünen von einem Mann. Und gegen das glänzende Security -Abzeichen auf seiner Brust.
»Beecher, wissen Sie, was mich wirklich rasend macht?«, erkundigt sich der stellvertretende Chef der Security Venkat Khazei, während ich zu ihm aufschaue. »Wenn Leute, die hier an ihrem Schreibtisch sitzen, meine Anrufe nicht entgegennehmen.«
Er legt eine Hand auf meine Schulter, und ich muss immerzu daran denken, dass er die einzige Person im ganzen Gebäude ist, die weiß, dass Orlando im SCIF gewesen ist.
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, frage ich.
»Sehr freundlich von Ihnen, Beecher«, sagt Khazei. »Ich habe schon gedacht, Sie würden gar nicht mehr fragen.«
21. Kapitel
»Was ist Ihnen lieber?« Khazei bemüht sich sichtlich, nett zu mir zu sein. »Wir können hier draußen miteinander sprechen oder an Ihrem Schreibtisch oder …«
»Hier draußen ist mir
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