Die Mädchen (German Edition)
Irgendetwas stimmte nicht. Ich zog sie wieder auf und
warf einen Blick auf die Hosen. Die am Bund mit Rot abgesetzte Hose war die
zweite, die ich von ihr bekommen hatte, und deshalb hatte ich die natürlich
auch zum Wichsen benutzt. So auch das letzte Mal. Aber als ich die beiden Hosen
genommen hatte, hatte die rote unten gelegen, und ich hatte mir beim letzten
Mal nicht die Mühe gemacht, die Hosen zu sortieren. Mir wurde schlecht bei dem
Gedanken, was das bedeuten konnte. War mein Versteck etwa aufgeflogen?
Dreizehntes Neuntes Kapitel
„Wir hätten gern noch mal mit dir
gesprochen.“
„Mit mir?“ Judith Keller sah die
beiden Kriminalbeamten an. Sie war überrascht. Was konnten sie von ihr wollen?
Hatte der Typ, den sie bei Bent gesehen hatte, sein Schwager, ihren Namen bei
der Polizei angegeben?
„Wer ist da?“ hörte sie ihre Mutter
mit brüchiger Stimme von oben rufen.
„Die Polizei noch mal.“
„Ich komm gleich.“
Judith war eben bei ihrer Mutter im
Schlafzimmer gewesen, um nach ihr zu sehen. Sie hatte schlecht ausgesehen, aber
das war ja kein Wunder, wenn sie, wie sie sagte, die ganze Nacht nicht
geschlafen hatte. Und wer konnte ihr das verdenken? Sie selbst hatte ja kaum
ein Auge zu gemacht, obwohl, wenn sie ehrlich war, das nicht nur mit Sina zu
tun hatte. Sicher, es belastete sie, dass ihre Schwester nicht mehr da war,
aber ihre Gedanken kreisten seit den fünf Tagen, die sie jetzt tot war, nicht
ausschließlich um sie. Bent hatte sich tagelang nicht bei ihr gemeldet, trotz
zahlreicher Nachrichten ihrerseits, und das hatte sie beunruhigt. Dabei war es
nicht die Angst gewesen, dass er sie mit einer anderen betrog oder so, immerhin
war er ja nicht gerade ihre große Liebe. Nein, sie hatte das Gefühl, dass es
irgendetwas mit Sina zu tun hatte, dass er auf Tauchstation gegangen war und
sie hätte zu gern gewusst, was das war.
Als er sie dann gestern anrief,
hatte sie gehofft, etwas von ihm zu erfahren, aber dann war da sein Schwager,
der ihm soeben ein blaues Auge geschlagen hatte und irgendetwas von seiner
Tochter faselte. Sie hatte kein Wort begriffen, nur soviel, dass der glaubte,
Bent war schuld an Sinas Tod. Bent hingegen hatte ihr versichert, mit Sinas Tod
nichts zu tun zu haben und hatte sie gebeten, ihm einen Tag Zeit zu geben, dann
würde er ihr alles erklären. Er hatte in dem Moment so verzweifelt gewirkt,
dass sie nicht weiter in ihn gedrungen war. Dennoch nagte seitdem die Ungewissheit
an ihr, ob er die Wahrheit gesagt hatte und ob sie womöglich den Mord an ihrer
Schwester hätte verhindern können, wenn sie die Beziehung zu ihm früher beendet
hätte.
Ihrer Mutter gegenüber hatte sie
natürlich nichts davon verlauten lassen und ihr lediglich einen Beruhigungstee
versprochen. Sie war eben dabei gewesen, ihn aufzubrühen, als die Beamten geklingelt
hatten.
„Brauchen Sie meine Mutter auch?
Wissen Sie, es geht ihr ziemlich schlecht im Moment. Das erste Wochenende ohne
meine Schwester war ziemlich hart. Und dann sie dort in der Gerichtsmedizin
liegen zu sehen, war wohl schlimmer, als sie sich vorgestellt hatte.“
Hauptkommissar Funke schüttelte den
Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Wenn du sie nicht unbedingt dabeihaben willst…“
„Du kannst ruhig oben bleiben“,
rief Judith ihrer Mutter vom Fuß der Treppe zu.
„Bist du sicher?“
„Ja, alles in Ordnung. Ich bring
dir in einer Minute deinen Tee.“ Sie wandte sich an die beiden Männer. „Gehen
Sie schon mal ins Wohnzimmer. Ich bringe meiner Mutter noch den Tee und dann
bin ich bei Ihnen.“
Sie wartete ihre Reaktion nicht ab,
sondern ging schnurstracks in die Küche, entsorgte die
beiden
Teebeutel aus der Kanne im
Ausguss, nahm
die
sie
Kanne
und einen Becher
und ging die Treppe hoch zum Schlafzimmer. Sie öffnete die Tür und ging zum
Bett, in das sich ihre Mutter schon wieder gelegt hatte.
„Danke, mein Liebes.“ Ihre Stimme
war kaum mehr als ein Flüstern.
Judith setzte sich zu ihr auf die
Bettkante und strich ihr über das Gesicht. Sie schien irgendwie zerbrechlicher
als noch am Tag zuvor, vielleicht weil der Verlust ihr mit jeder Minute
deutlicher wurde. Seltsam, wie ein schlimmes Ereignis die Sichtweise
veränderte. Plötzlich wusste sie gar nicht mehr, warum sie immer solch eine Wut
auf ihre Mutter verspürt hatte. Jetzt hatte sie nur Mitleid mit ihr und
wünschte, sie könnte ihr sagen, dass alles wieder gut werden würde. Aber das
wurde es eben nicht.
Sie goss ihrer Mutter einen Becher
ein und
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