Die Mädchen (German Edition)
er nicht ganz, denn er
suchte ja nicht nach einem Fall, den sein Vater bearbeitet hatte. Sie hatte
seine Zweifel beiseite gewischt und ihn in den Keller geführt, der zu der
Kanzlei gehörte, und ihm dort die Ablage gezeigt. Er war fast hintenüber
gekippt, als er die Anzahl der Ordner sah, aber er hatte nicht lange gezögert
und gleich angefangen. Er hatte den ganzen Sonntag bis in den späten Abend
gebraucht, aber schließlich hatte er Glück.
Dabei hätte er die Kündigung fast
nicht bemerkt, weil sie nur auf einem Din A 5 Blatt geschrieben war und er es
erst für ein Anhängsel des vorangegangenen Vorgangs gehalten hatte. Ungläubig
hatte er darauf gestarrt. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Hatte er insgeheim
gehofft, von der Aufgabe erlöst zu werden, weil er den Namen nicht
herausbekommen konnte, war das hiermit vorbei. Die Adresse zu finden, war dann
wieder leicht, sie stand im Telefonbuch, zum Glück hatte die Dame nicht
geheiratet, sonst hätte er wohl noch einen Tag gebraucht.
Es war anstrengend gewesen, sich
durch die Akten zu wühlen, aber es hatte ihn auch davon abgelenkt, zuviel an
Luisa denken zu müssen. Er war aus allen Wolken gefallen, als er sie nach der
Trauerfeier in seiner Wohnung antraf, wie sie ihre Sachen zusammen suchte. Er
hatte nie damit gerechnet, dass sie ihm den Laufpass geben würde, weil er nicht
einmal die Warnzeichen dafür wahrgenommen hatte. Im Nachhinein verstand er
jetzt
allerdings
, was sie dazu bewogen hatte. Aus
ihrer Sicht
war er eben noch
nicht bereit für sie und eine ernsthafte Beziehung mit ihr und so ganz von der
Hand weisen konnte er das nicht. S
icher, er hatte andere Probleme, die mit seinem
Liebesleben nichts zu tun hatten, aber wenn er wirklich mit Luisa zusammen sein
wollte, warum dachte er dann ständig an Doreen?
Vielleicht hatte Luisa ihm in der Tat einen
Gefallen getan, obwohl es sich nicht so anfühlt
e
, denn so hatte er ein letztes Mal die
Gelegenheit, die
Situation mit Doreen
abschließend zu klären.
Jetzt hielt er vor dem Haus und
atmete tief durch. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Zweifel überkamen ihn.
Sollte er wirklich weitermachen? Danach wäre nichts mehr wie es war. Mit seinem
Auftauchen würde er das Leben zumindest zweier Menschen völlig auf den Kopf
stellen, von seinem eigenen ganz zu schweigen. War er bereit, dafür die
Verantwortung zu übernehmen?
Er verfluchte für einen Moment,
dass er dem Drängen seines Vaters im Krankenhaus nachgegeben hatte, aber was
hätte er tun sollen? Sein Vater hatte eben einen Schlaganfall erlitten, wie
konnte er ihm da etwas abschlagen? Wenn er genauer darüber nachdachte, war es
schon etwas unfair
, dass er
ihn in diese Lage gebracht hatte
.
Okay, wahrscheinlich dachte man in einer solchen
Situation nicht darüber nach.
Er seufzte. Was hatte er ihm da nur
aufgebürdet? Und vor allem, was hatte er von ihm erwartet? Er hatte ihm gesagt,
dass er darauf vertraute, das er das Richtige tat. Aber was war das? Das was er
jetzt tat? Er wusste es nicht. Und er hatte auch keinen blassen Schimmer, was
er sagen sollte, obwohl er sich schon ein paar Tage lang darüber Gedanken
gemacht hatte. Er würde also alles auf sich zukommen lassen und musste darauf
hoffen, dass sie ihm nicht die Tür vor der Nase zuschlug. Aber zumindest hatte
er dann alles versucht.
Er seufzte erneut und stieg aus,
auf die lange Bank schieben brachte auch nichts. Je mehr Zeit er hatte, darüber
nachzudenken, was er tun sollte, um so größer wären seine Zweifel geworden.
Nein, lieber jetzt Augen zu und durch.
Er verschloss seinen Wagen und ging
durch den kleinen Vorgarten zum Eingang des Hauses. Zur Sicherheit
kontrollierte er noch mal den Namen auf dem Klingelknopf. Ja, hier war er
richtig. Er drückte den Knopf. Selten zuvor war er so aufgeregt gewesen, nicht
einmal als er seinen Interimsjob in Japan angetreten hatte. Er hörte, wie sich
Schritte näherten und einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet.
„Ja bitte?“
Die Frau sah ganz anders aus, als
er erwartet hatte. Aber was wusste er schon? Er schätzte sie auf Mitte Fünfzig
und konnte sich schon vorstellen, dass sie als junge Frau dem einen oder anderen
Mann den Kopf verdreht hatte. Sie war recht groß und sehr dünn. Ihre Haare
waren grau und kurz geschnitten. Sie war wenig zurechtgemacht, aber es stand
ihr. Ihre Augen waren wasserblau, ihre Nase gerade und ihr Mund ein wenig
schmal. Sie hatte anscheinend ein Rätsel gemacht oder so, jedenfalls hatte sie
ein Heft in
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