Die Mädchen (German Edition)
Grund. Ich möchte meinen Bruder kennen lernen.“
„Sie möchten was?!“ Ihre Stimme war
plötzlich schrill.
„Meinen Bruder, Ihren Sohn. Ich
möchte ihn kennen lernen.“
Sie griff erneut nach ihrem Etui
und Timo konnte sehen, wie ihre Hände zitterten, als sie sich eine weitere
Zigarette nahm. Wahrscheinlich steigerte sie soeben ihren Tageskonsum um einhundert
Prozent. Sie brauchte zwei Versuche mit dem Feuerzeug, bis sie die Kippe
angezündet hatte. Und sie ließ sich Zeit, nahm zwei Züge, ehe sie auf seine
Bitte reagierte. Er wartete geduldig und ließ sie gewähren. Dass er von seinem
Halbbruder wusste, war bestimmt nicht leicht für sie. Das musste sie erst
einmal verdauen.
„Es macht sicher keinen Sinn, es zu
leugnen.“
„Gar keinen.“
Sie nickte, nahm einen weiteren Zug
und drückte die Zigarette aus, obwohl sie erst halb aufgeraucht war. Deutlicher
konnte sie ihre Nervosität kaum zum Ausdruck bringen.
„Dachte ich mir. Ich hatte keine
Ahnung, dass er es wusste.“
„Er wusste nicht, dass Sie
schwanger waren?“
Sie machte eine wegwerfende
Handbewegung. „Natürlich wusste er das. Ich meine, dass ich das Kind behalten
habe.“
Er zog fragend die Augenbrauen
hoch.
„Sie verstehen das schon richtig.
Ihr Vater wollte, dass ich abtreibe. Da hab ich erkannt, was für ein Mensch das
war, mit dem ich mich da eingelassen hatte. Deshalb hab ich mich von ihm getrennt.
Und bevor Sie irgendwelche falschen Schlüsse ziehen, ich habe nicht versucht,
ihn mit einem Kind an mich zu binden. Zugegeben, zu Beginn unserer Affäre hab
ich mir etwas vorgemacht und immer darauf vertraut, dass er sich schon
irgendwann von Ihrer Mutter trennen würde. Ich meine, ich war zweiundzwanzig
Jahre alt, da hat man noch Träume.“
Es sollte zynisch klingen und das
tat es auch. Timo war überzeugt, dass sie schon lange nicht mehr an Träume
glaubte.
„Aber zu dem Zeitpunkt, als ich
schwanger wurde, wäre selbst dem Dümmsten klar gewesen, dass das niemals
geschehen würde. Ich hatte mich längst mit meiner Rolle als Nebenfrau arrangiert,
weil ich ihn so dermaßen geliebt hatte, auch wenn es mir schwer fiel. Das Kind
war ein Unfall, ich hatte ursprünglich niemals eines gewollt. Aber nachdem es
nun einmal passiert war, hätte ich es nie übers Herz gebracht, es abzutreiben.“
„Also haben Sie es behalten, aber
meinem Vater etwas anderes gesagt?“
Sie steckte sich erneut eine an.
„Ja. Ich hab das Geld genommen, was er mir für die Abtreibung gegeben hat, weil
ich es gut gebrauchen konnte, und bin dann erst mal weg aus Lübeck, um in Ruhe
meinen Sohn zur Welt zu bringen. Wir sind in ein kleines Nest in Bayern
gezogen, möglichst weit weg von Lübeck und ich hab nie wieder etwas von Ihrem
Vater gehört.“
„Aber irgendwann sind Sie wieder
hierher zurückgekommen.“
„Ja.
Nach dem Tod meiner Eltern vor zehn Jahren
ungefähr. Sie sind recht kurz hintereinander gestorben und ich bin dann in mein
Elternhaus gezogen. Es zu verkaufen, hab ich damals nicht übers Herz gebracht.“
Sie seufzte. „Später blieb mir da keine Wahl, weil ich mir sonst die Anwaltskosten
nicht hätte leisten können.“
„Aber Sie haben die ganze Zeit keinen Kontakt zu meinem Vater aufgenommen.“
„Nein, das hätte ich nie getan. Ich wusste natürlich, dass er noch
immer in Lübeck lebte, aber ich hätte ihn niemals um Hilfe gebeten. Ich hab
immer gedacht, ich wäre ihm erfolgreich aus dem Weg gegangen
und
, war jahrelang auch
nicht bei der Auskunft gemeldet. Ich hab geglaubt, er hatte mich längst
vergessen. Wie hat er herausgefunden, dass ich einen Sohn habe?“
Timo zuckte mit den Achseln. „Ich
weiß es nicht. Aber ich glaube, dass er es von Anfang an gewusst hat.
Wahrscheinlich kannte er Sie besser, als Sie dachten.“
Sie zuckte traurig mit den Achseln.
„Schon möglich. Aber das hat ihn trotzdem nicht dazu veranlasst, mir helfen zu
wollen.“
„Er muss gewusst haben, dass Sie
kein Geld von ihm annehmen würden.“
Sie runzelte die Stirn. „Er hat es
ja nicht einmal versucht.“
„Aber er hat Geld für Ihren Sohn
angelegt.“
Ihr fiel beinahe die Zigarette aus
der Hand. „Wie bitte?“
„Das hatte er mir sagen wollen,
verstehen Sie? Ich sollte dafür sorgen, dass Ihr Sohn das Geld bekommt.“
Ihr rechter Oberschenkel fing an,
auf und ab zu wackeln. „Er hat Geld angelegt? Aber warum hat er sich fast
dreißig Jahre Zeit gelassen, jemandem davon zu erzählen?“
„Vielleicht wusste er nicht, wie er
Ihrem
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