Die Mädchen (German Edition)
Außerdem war es offensichtlich, dass Frau Grothe das tote Mädchen
nicht kannte, sonst hätte sie mit Sicherheit etwas gesagt.
„Was tun Sie eigentlich, um unsere
Tochter zu finden?“
Frohloff begegnete Grothes Blick.
„Das Verschwinden Ihrer Tochter tut uns sehr leid. Ich kann Ihnen versprechen,
dass wir alles tun werden, um sie zu finden.“
„So wie bisher?“
Nur ruhig bleiben, sagte sich
Frohloff.
„Simon, bitte.“
„Ist doch wahr. Was hat die Polizei
denn bislang getan? Gar nichts.“
„Das ist so nicht richtig“, meldete
Siewers sich zu Wort.
Grothe funkelte sie an. „So? Dann
klären Sie uns mal auf.“
„Sie haben Ihre Tochter gestern
Abend bei unseren Kollegen als vermisst gemeldet.“
„Eben. Gestern!“
„Es tut mir leid, aber Sie können
von uns auch keine Wunder erwarten. Wir tun, was in unserer Macht steht, aber
wir haben von Ihnen ja auch keine konkreten Ansatzpunkte erhalten. Ihre Frau
hat Ihre Tochter das letzte Mal am Nachmittag hier zu Hause gesehen. Das ist
die einzige Information, die wir haben.“
„Sie sind die Polizei. Machen Sie
was draus.“
Frohloff war froh, dass Siewers
übernommen hatte. Er bewunderte sie dafür, dass sie so scheinbar gelassen auf
die Vorwürfe reagieren konnte. Ihm selbst wäre längst der Geduldsfaden gerissen,
zumal sie bislang gar nicht mit dem Verschwinden des Mädchens betraut gewesen
waren und sie so definitiv die falschen Adressaten für die Vorhaltungen dieses
Mannes waren.
„Das versuchen wir auch. Das können
Sie uns ruhig glauben. Aber unsere Kollegen haben Ihnen sicher auch gesagt,
dass solange kein konkreter Verdacht eines Verbrechens vorliegt und von Ihrer
Seite auch keine Hinweise in die eine oder andere Richtung erfolgen, uns so
ziemlich die Hände gebunden sind. Außerdem tauchen gerade Teenager ja ziemlich
häufig nach einigen Stunden wieder auf.“
„Merle ist nicht wieder da.“
„Ich weiß. Für heute war es gestern
Abend einfach schon zu spät, aber morgen erscheint eine Suchmeldung in den
regionalen Zeitungen mit dem Bild, das Sie abgegeben haben. Wobei ich mir bei
dem Bild nicht so viel Hoffnung mache, weil es drei Jahre alt ist. Sie wissen
ja selbst, wie Mädchen sich in diesem Alter verändern. Hätte uns ein aktuelles
Foto vorgelegen, hätten wir Sie gar nicht behelligen müssen, weil wir gleich
hätten sehen können, dass es sich nicht um Ihre Tochter handeln kann.“
„Oh, tut uns leid. Wenn wir gewusst
hätten, dass Merle verschwindet, hätten wir letzte Woche noch schnell ein Foto
gemacht.“
„Simon, das reicht jetzt.“
Frohloff war erstaunt, wie laut die
Frau auf einmal sein konnte. Ihrem Mann ging es anscheinend ebenso, war er doch
tatsächlich verstummt.
„Ich kann verstehen, dass Sie
ungehalten sind, weil Sie Ihre Tochter wiederhaben möchten. Aber es bringt doch
nichts, wenn Sie uns Vorhaltungen machen. Es ist doch viel besser, wenn wir an
einem Strang ziehen.“
Er zuckte nur gleichgültig mit den
Achseln. Frohloff hätte ihm am liebsten an den Kopf geknallt, dass seine
Tochter bereits tot hätte sein können, bevor sie überhaupt bei der Polizei als
vermisst gemeldet worden war. Schließlich waren von dem Zeitpunkt, zu dem seine
Frau sie zuletzt gesehen hatte bis zur Vermisstenmeldung mehr als sechs Stunden
vergangen. Aber er verkniff es sich. Was brachte es, noch Öl ins Feuer zu
gießen?
„Haben Sie denn gar keine Idee, wo
Ihre Tochter sein könnte?“
„Nein, wirklich nicht.“ Frau Grothe
schüttelte betrübt den Kopf. „Ich zermartere mir den Kopf, aber mir fällt
niemand ein.“
„Gibt es vielleicht eine beste
Freundin?“
Meistens wussten beste Freundinnen
mehr als die Eltern. Sie wussten, ob es da einen Jungen gab, ob es Probleme zu
Hause oder in der Schule gab. Mit ihnen wurden Alibis vereinbart, wenn die
Eltern nicht wissen sollten, dass man sich mit seinem Freund traf.
„Es wäre schön, wenn dem so wäre.“
„Was ist denn mit Jacqueline?“ ließ
er wieder von sich hören.
Frau Grothe winkte ab. „Die war
schon seit Ewigkeiten nicht mehr hier. Das ist vorbei.“
Sichtlich peinlich berührt, dass er
dieses Detail aus dem Leben seiner Tochter nicht wusste, sah er weg.
„Vielleicht können Sie uns trotzdem
die Adresse des Mädchens geben. Man weiß ja nie.“
Frau Grothe stand auf und ging zu
einer Anrichte, die in der Ecke gegenüber der Tür stand und wie ein altes
Erbstück aussah. Sie holte ein Adressbuch aus einer Schublade, blätterte darin
herum und
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