Die Mädchenakademie
Kapelle einschlug, sie ging in Richtung Tanzsaal. Im College wurden die Schülerinnen nicht nur auf die Universität vorbereitet, sondern auch darauf, sich auf internationalem Parkett zu bewegen, deshalb gab es diesen Tanzsaal. Hier hatte auch der Abschlussball stattgefunden, an dem Emma nicht hatte teilnehmen können, dank dieser überflüssigen Hochzeit.
An der Tür schaute sich Megan um, so als würde sie prüfen, ob die Luft rein war. Emma blieb abrupt einen Gang entfernt stehen und drückte sich an die Wand. Mit pochendem Herzen hörte sie, wie die Tür des Saals zufiel.
Rasch huschte sie dorthin, wo eben noch Megan gestanden hatte, und lauschte. Megans Sohlen klackten auf dem Tanzparkett, dann knarrte eine Tür und fiel leise in die Angeln, was gut hörbar durch den Saal hallte.
Was wollte Megan in dem Stauraum, in dem das Zubehör für Tanzveranstaltungen aufbewahrt wurde? Emma konnte sich keinen Reim daraus machen, betrachtete das Tagebuch in ihrer Hand und fasste einen Entschluss.
So leise wie möglich schlich sie in den Saal. Sie nahm ihre Schuhe in die Hand und durchquerte auf leisen Sohlen den Raum. Durch die Fensterfront zu ihrer Rechten konnte sie bis zum See schauen. Gegenüber hingen an der Wand abwechselnd mannshohe, in Goldrahmen gefasste Spiegel und Gemälde, auf denen der Internatsgründer Ian William Edwards und seine Gattin Isabelle Amelia und Außenansichten des White Gaden Colleges abgebildet waren.
Mit pochendem Herzen legte Emma ihr Ohr an die Tür, die in den kleinen Raum führte, der sich gegenüber vom Eingang befand. Sie hörte das Rascheln von Stoff. Zog Megan sich um? Oder hatte sie sich in diesem abgelegenen Teil des Internats, der in den Ferien nur von der Putzkolonne aufgesucht wurde und selbst das selten, mit jemandem zu einem erotischen Tête-à-Tête verabredet und war gerade dabei sich zu entkleiden?
Als Emma Schritte hörte, die auf die Tür zukamen, sah sie sich panisch nach einem Versteck oder einer Fluchtmöglichkeit um, aber die gab es nicht. In Kürze würde Megan sie entdecken und zur Rede stellen, weshalb sie ihr hinterherspionierte.
Emma wappnete sich nervös für einen verbalen Schlagabtausch, den sie gegen Megan nur verlieren konnte, als sich plötzlich eine Hand von hinten auf ihren Mund legte. Jemand zerrte sie zu der Wand mit den Gemälden. Emma stolperte über eine Stufe in einen Raum hinein, der ihr völlig unbekannt war. Ihr Entführer zog eine Tür hinter ihnen zu, doch es wurde nicht dunkel, obwohl das Zimmer keine Fenster hatte, denn zu Emmas Erstaunen war die Tür aus Glas. Wo befand sie sich?
Die Tür zur Abstellkammer wurde geöffnet. Megan trat stirnrunzelnd heraus. Sie musste etwas gehört haben.
Emma wusste nicht, ob ihr Entführer nun ihr Retter oder ein Verbrecher war, deshalb zerrte sie an der Hand, die sie am Reden hinderte.
Als er »Scht« machte, reagierte ihr Körper mit einem Prickeln, das wohlig durch sie hindurchrieselte. Christian! Was machte er hier? In welches Zimmer hatte er sie hineingezerrt? Sie hörte auf, sich gegen ihn zu wehren. Im Gegenteil, sie drängte ihr Hinterteil nur fester an ihn, was er mit einem leisen Knurren quittierte.
Nachdem er die Hand von ihrem Mund genommen hatte, schaute sie sich überrascht um. Sie standen in einem schmalen Gang, der parallel zu den Gemälden im Tanzsaal verlief, allerdings waren die Spiegel von dieser Seite aus durchsichtig wie Glasscheiben. Wofür sollte dieser Geheimgang gut sein? Und woher kannte Christian ihn?
Megan war nur zwei Schritte von ihnen entfernt und ahnte es nicht einmal. Nervös blickte sie zum Stauraum zurück und eilte dann aus dem Saal. Das Buch trug sie nicht mehr bei sich. Sie musste es in der Kammer versteckt haben, mutmaßte Emma. Wieso nicht in der Kapelle, wie der Geheimclub es vorsah? Emma fragte sich, ob es überhaupt Megans Tagebuch gewesen war. Vielleicht hatte sie sich verguckt.
Kaum hatte sich die Tür des Tanzsaals hinter Megan geschlossen, drehte Christian Emma herum und drückte sie gegen die Wand neben der Spiegeltür. Er stützte sich rechts und links neben ihrem Kopf ab und hob schmunzelnd seine Augenbrauen. »Du bist eine Spionin, Emma Fryer.«
Ihr lag die Anspielung auf der Zunge, dass er als Undercover-Polizist ebenfalls eine Art Spion war, doch sie schluckte die Stichelei herunter. Emma ahnte, dass Christian sich nicht als Trophäe zur Verfügung gestellt hatte, um Ruhe vor den Mädchen zu haben, sondern um Kontakt zu ihnen herzustellen, ohne
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