Die Mädchenwiese
Jugendliebe geheiratet, die ihm zwei zauberhafte Kinder gebar, eine Tochter und einen Sohn, dessen Patenonkel Alex war. Jeden zweiten Dienstag besuchte Alex den Jungen.
»Ja«, sagte Alex, »um deine Frage zu beantworten.«
»Äh«, entgegnete Norman. »Welche Frage?«
»Es bleibt bei morgen. Ich komme zum Abendessen.«
Norman lachte. Alex legte die CD beiseite und öffnete die restlichen Briefe. Der Gaststättenverband lud zur Hauptversammlung. Das Finanzamt kündigte eine Rückerstattung an. Das Kuvert der Stadt Berlin enthielt einen weiteren verschlossenen Brief, den die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung an ihn weitergeleitet hatte. Dessen Absender lautete Arthur Steinmann, Harnackstraße 18, Berlin . Dieser Brief war handgeschrieben.
Während Alex von der Cola trank, überflog er die ersten Zeilen. Vor lauter Schreck spuckte er alles wieder aus.
»Alex?«, fragte Norman mit einem sorgenvollen Unterton. »Alles in Ordnung?«
Alex reichte ihm den Brief.
Laura hob das Telefon vom Sofa auf und wählte Lisas Nummer. Erneut erreichte sie nur die Mailbox. Diesmal verzichtete sie auf eine Nachricht, stattdessen rief sie noch einmal Lisas Freundin an. »Carmen, ist Lisa bei Tommy?«
Wegen der Hintergrundgeräusche drangen nur Wortfetzen an Lisas Ohr: »… glaube … halte … dort … Warten Sie … Könnt ihr verdammt noch mal die Schnauze halten! « Schlagartig kehrte Ruhe ein. »Frau Theis? Wenn Lisa wieder was mit ihm gehabt hätte, dann hätte sie mir ganz sicher davon erzählt.«
»Tatsächlich?«, fragte Laura. »Ich meine, Lisa hat dir noch ganz andere Dinge nicht erzählt, zum Beispiel, wo sie das Wochenende verbringt. Und das, obwohl du ihr Alibi warst.«
»Na ja …« Carmen klang mit einem Mal verunsichert. Offenbar war ihr dieser Gedanke noch gar nicht gekommen.
»Könnte Lisa also bei Tommy sein?«
»Ich weiß nicht, aber …«
»Aber was?«
»Tommy hat erzählt, er hätte am Wochenende, also, na ja, sturmfreie Bude.«
Gizmo spürte die plötzliche Anspannung an Bord. Wie zur Besänftigung bettete er seine haarige Schnauze auf Alex’ Oberschenkel und blickte ihn aus großen, braunen Retrieveraugen an. Alex strich ihm durchs Fell, während er Norman bei der Lektüre des Briefes beobachtete.
»Offen gestanden, weiß ich nicht, was ich dazu sagen soll.« Norman fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare.
»Nicht?«, entgegnete Alex skeptisch.
»Na gut, okay«, Norman lächelte gequält und verschränkte die Arme vor der nackten Brust. »Mir geht da was durch den Kopf und … Herrgott!«
Unversehens kippte die Endeavour zur Seite. Ben hangelte sich entlang der schmalen Reling zum Bug.
»Na, Jungs, was haltet ihr davon? Das ist doch mal ein Prachtkerl!« Wie einen Pokal reckte Ben den Fisch in die Höhe. Als er die betretenen Gesichter seiner beiden Freunde bemerkte, ließ er seine Arme sinken. »Was ist los mit euch? Seid ihr unter die Tierschützer gegangen?«
Norman suchte Alex’ Blick. Dieser nickte nur, nahm das Schreiben wieder an sich und studierte es erneut. Die Zeilen verschwammen vor seinen Augen. Er hörte, wie Norman den Briefinhalt für Ben in wenigen Sätzen wiedergab.
Noch ehe Norman seine Zusammenfassung beendet hatte, gesellte sich Paul zu ihnen und fragte: »Der Absender, dieser … Arthur Steinmann, ist er … Ich meine … Alex, kann es sein, dass er …?«
»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Alex lauter als beabsichtigt.
Ben gab den Karpfen in einen Wassereimer. »Glaubst du ihm?«
Alex betrachtete den Brief. Die Schrift war ungelenk, als hätte jemand in heller Aufregung das Schreiben verfasst.
Lieber Alex,
ich weiß nicht, wie ich es Dir sagen soll. Ich habe diesen Brief schon viele Male geschrieben, ihn immer wieder zerrissen und noch einmal von vorne begonnen. Es ist so schwierig, die richtigen Worte zu finden. Vielleicht ist es besser, ich falle mit der Tür ins Haus, auch auf die Gefahr hin, Dich zu verstören. Ich hoffe, Du siehst es mir nach.
Ich bin Dein Vater. Dein leiblicher Vater. Deine Mutter, die leider schon verstorben ist, und ich haben Dich wenige Monate nach Deiner Geburt in Berlin zur Adoption freigegeben und …
»Vielleicht ist das nur ein Scherz«, sagte Ben unvermittelt.
»Und was, wenn nicht?«, entgegnete Paul. »Immerhin wurde dieser Brief über die Senatsverwaltung zugestellt, ist also hochoffiziell. Alex, haben deine Eltern, also, ich meine, die Eltern, bei denen du aufgewachsen
Weitere Kostenlose Bücher