Die Mädchenwiese
noch sagen, dass du besser auf sie …«
»Rolf«, unterbrach sie ihn. »Wie war das noch? Das bringt uns nicht weiter.«
»Na ja«, entgegnete er leise, »wahrscheinlich machst du dich völlig umsonst verrückt. Lisa ist sechzehn, da hat man nun mal Flausen im Kopf. Damals haben wir beide doch auch unsere Eltern belogen und manchmal den Unterricht geschwänzt. Kannst du dich noch erinnern? Bestimmt hat sie das Wochenende bei ihrem Freund verbracht, diesem … diesem … Wie heißt er noch gleich? Thorsten oder …«
»Thomas. Mit dem ist seit Monaten Schluss.«
»Ach, ehrlich?«
»Ich dachte, du bist ihr Vater, der …«
»Laura, verdammt«, rief Rolf verärgert aus, »Lisa lebt unter deinem Dach …«
»Das immer noch undicht ist!«
»… und du trägst die Verantwortung …«
Ehe er den Satz beenden konnte, schmiss Laura das Handy aufs Sofa. Sie wollte keine Vorwürfe mehr hören, doch vor allem wollte sie sich nicht verrückt machen. Aber sie war auf dem besten Wege.
Alex betrachtete die Cola-Flasche in seiner Hand. Er spürte den Blick, mit dem Norman ihn musterte. Plötzlich befielen ihn Zweifel. War es das wirklich? Vorbei? Hatte er mit den drei Jahre zurückliegenden Ereignissen tatsächlich abgeschlossen? Wenn er nicht einmal mit einer Frau plaudern konnte, ohne in das erstbeste Fettnäpfchen zu treten.
Am Ufer stieß ein Kormoran ein kehliges Krächzen aus. Es klang wie Hohn. Bens Angel pendelte wild auf und ab. Rasch hob er sie aus der Halterung und rang mit dem Fisch, offenbar ein kapitaler Fang.
Alex griff nach der Post in seinem Rucksack. Im nächsten Moment stand Gizmo wieder neben ihm.
»Hast du vorhin nicht verstanden?«, fragte Alex.
Der Retriever leckte sich die Lefzen.
»Nein, natürlich nicht.«
Mit Hilfe seines Haustürschlüssels öffnete Alex die drei Kuverts der Brauereien. Wie erwartet enthielten sie Rechnungen. Augenblicklich verlor er das Interesse an den übrigen Briefen und holte stattdessen die Nirvana- CD hervor. Er klappte die Hülle auf und blätterte durch das Booklet. Es fiel ihm schwer, sich auf das Gedruckte zu konzentrieren.
Seine Gedanken schweiften ab. Vor drei Jahren hätte er sich gar nicht erst in die Nähe einer Frau gewagt. Selbst seine Freunde hatten ihm kein Wort entlocken können. Seine einzige Gesellschaft war eine Flasche Wodka, die ihm Trost spendete.
Hätte ihn vor einem Jahr nicht die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht, wäre er sicherlich nie von seiner Alkoholsucht losgekommen. Alex war nach Finkenwerda gefahren, um den Nachlass seiner Eltern zu regeln, ihr Haus am Dorfplatz, die Kneipe im Erdgeschoss.
Damals hatte er beschlossen, die Elster nicht zu veräußern. Seine Freunde hatten Bedenken angemeldet und ihn gar für verrückt erklärt. Rational betrachtet, war es sicherlich keine kluge Entscheidung, dass ein Säufer eine abgewirtschaftete Kneipe in einem abgelegenen Kaff übernehmen wollte.
Vielleicht hatte er damals tatsächlich gehofft, sich in der Elster endgültig den Rest zu geben. Es war alles anders gekommen. Er hatte sein Alkoholproblem in den Griff gekriegt. Im Haus seiner Eltern, in deren Kneipe, an der Seite von Gizmo, mit seinen Freunden und den Erinnerungen an eine andere, an eine bessere Zeit.
Bens Jubelruf riss ihn aus seinen Gedanken. Auf den Bootsplanken zappelte ein gewaltiger Karpfen. Paul applaudierte. Gizmo bellte. Alex strich ihm durchs Fell und ließ seinen Blick über das im Sonnenlicht glitzernde Wasser, das Schilf und die Bäume schweifen Deshalb , dachte Alex, bin ich hiergeblieben . Und deshalb hatte er sein Leben in den Griff bekommen. Seine Rückkehr nach Finkenwerda war zugleich eine Reise zurück an den Anfang gewesen. Die Chance auf einen Neubeginn.
»Gut«, sagte Norman, als wüsste er um Alex’ Gedanken.
Vielleicht tat er das tatsächlich. Er war sehr viel einfühlsamer, als es sein Aussehen vermuten ließ. Vor Gericht begingen viele seiner Gegner den Fehler, ihn falsch einzuschätzen. Tatsächlich aber war er als Anwalt klug, gewissenhaft und integer. Und von ihnen allen zweifellos der Besonnenste. Der Kauf der abgetakelten Endeavour ein Jahr zuvor war wahrscheinlich die zweifelhafteste Unternehmung, in die Norman je eingewilligt hatte. Ansonsten zeichnete er sich vor allem durch seine Beständigkeit aus. Seit seiner Geburt lebte er im nahe gelegenen Brudow und hatte den Ort nur fürs Studium verlassen. Anschließend war er zurückgekehrt, hatte die Kanzlei eröffnet und seine
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