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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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der verschwundenen Margrit dann doch das Ohr eines Zeugen erreicht. Dieser habe Ferdinand mit dem Mädchen im Café Moskau gesehen. Mehrere Male sogar.
    Die Männer sahen sich in unserer Stube um, danach im Garten und irgendwann auch im Keller. Die Spuren waren nicht zu übersehen. Schon wenige Stunden später gruben sie dort unten Margrits Leichnam aus, oder das, was von ihr noch übriggeblieben war.
    Da warteten bereits die Männer in dunklen Anzügen vor unserem Haus. Fragen Sie mich nicht, wer oder was sie waren, Polizisten, Beamte, so etwas in der Art, aber einige glaubte ich zu erkennen. Ich hatte ihre Gesichter auf meiner Hochzeit gesehen. Ferdinand war Wirtschaftskaufmann, und diese Männer –
    Wenn sie seine Kollegen waren, was war dann mein Mann? Wer war er gewesen? Die Erkenntnis war so einfach wie bitter: Ich kannte ihn nicht. Ich hatte ihn nie gekannt.
    Sie führten ihn zu einem Auto, das inmitten eines blinkenden Wagenkorsos vor unserem Grundstück parkte. Das ganze Dorf stand dahinter versammelt. Die Leute reckten die Köpfe, ihre Augen waren weit aufgerissen, als die Leiche des Mädchens aus dem Haus getragen wurde.
    Ferdinand folgte den Männern ohne Widerstand. Nur einmal hielt er kurz inne und drehte sich zu mir um. Sofort packten ihn die Männer an den Armen.
    »Nur dadurch«, sagte Ferdinand lächelnd, »nur dadurch lebt der Mensch.«
    Ich wusste nicht, was er damit meinte. Und ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich wollte es gar nicht wissen. Ich will es bis heute nicht wissen.
    Die Männer schoben Ferdinand weiter zu dem Auto, und er nahm auf der Rückbank Platz. Die Tür schlug zu. Dies war das Letzte, was ich von meinem Mann sah. Erleichterung verspürte ich nicht.
    Ich musste Tage unzähliger Befragungen über mich ergehen lassen. Danach rieten die Behörden mir zu einer Therapie. Zu diesem Zeitpunkt befand sich mein Sohn längst in einem Heim. Ich hätte ihn dort besuchen dürfen, niemand hätte mich daran gehindert. Aber ich konnte nicht. Scham und Schuld lasteten wie schwere Gewichte auf mir und erschwerten jeden Schritt auf meinen Sohn zu. Wie hätte ich ihm gegenübertreten sollen? Was zu ihm sagen?
    Ich hatte ihn nicht beschützt. Ich war ihm eine schlechte Mutter gewesen. Ich war nichts .
    Von Ferdinand war ich befreit, doch von meinem Sohn fühlte ich mich weiterhin entrissen, und mein Leben war ein einziger Scherbenhaufen. Aber damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Verstehen Sie das denn nicht? Es gibt kein Ende. Noch nicht.
    Sie wollen wissen, ob ich meinen Sohn jemals wiedergesehen habe?
    Kapitel 56
    Alex duckte sich tief in den Beifahrersitz, als kurz vor Finkenwerda ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht an ihnen vorüberraste. Gleich danach bog Paul durch ein offenes Viehgatter auf einen Feldweg. Schotter hämmerte gegen den Unterboden. Nach einer Kurve, die durch ein kleines Wäldchen führte, mündete der Pfad abrupt im Innenhof eines alten Backsteinhauses. Das Gehöft, das im Verlauf der Jahrzehnte nach allen Seiten um eine Vielzahl moderner Scheunen und Ställe erweitert worden war, wirkte wie ein feudales Gutshaus.
    Lukas trat aus dem Gebäude. Sein Gesicht war grimmig wie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen, doch nun, da sein Vater nicht in Reichweite war, schien es, als wollte er gleich auf Alex losgehen.
    »Lukas!« Aus einer der Scheunen stiefelte Ruprecht Schulze heran, ganz in eine grüne Jägerskluft gehüllt. Ihm fehlte nur noch die langläufige Flinte, die er sich mit dem Schulterriemen überwerfen konnte. Sein teigiges Gesicht bekam einen erstaunten Ausdruck. »Ich dachte, du bist …«
    »Verhaftet?« Alex leckte sich die Lippen. »Wolltest du das sagen?«
    Der Bauer bleckte die Zähne. »Man hört so einiges.«
    »Aber von manchem schweigt ihr dann doch lieber.«
    Schulzes Grinsen erlosch. Sein Blick wanderte von Alex zu Paul. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
    »Tatsächlich nicht?« Alex trat einen Schritt auf den Landwirt zu.
    Bevor sein Sohn ihm zur Seite eilen konnte, drehte Schulze sich um. »Lukas, ich glaube, es ist besser, wir rufen die Polizei. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, ein entflohener Mörder …«
    »Mach dich nicht lächerlich«, sagte Alex lachend. »Du weißt ganz genau, dass ich mit den Morden nichts zu tun habe und …«
    »Die Polizei scheint da anderer Meinung zu sein.«
    »… mit dem Mord an Margrit Grote noch viel weniger.«
    Eine lange Pause entstand, in der nur die Schweine in der Scheune grunzten. Über die

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