Die Mädchenwiese
Weg gelaufen war, aber er konnte sich weder an den Namen noch an das Gesicht erinnern.
Die Türklingel schrillte erneut, und Alex hörte Gizmo aufgeregt auf den Dielenbrettern trippeln. Alex schlüpfte in eine frischgewaschene Jeans und ein neues T-Shirt und begab sich zur Haustür.
Auf der Schwelle stand Paul und schwenkte eine knisternde Papiertüte. »Ich hab’ Brötchen mitgebracht.«
Alex sah blinzelnd zur Uhr. Kurz vor neun.
»Jetzt schau nicht so entsetzt drein«, murrte sein Freund, »es war deine Idee, dass ich dir im Garten beim Aufräumen helfe, bevor die von Fielmeister’s kommen.«
Alex winkte ihn gähnend in den Flur.
»Hast du schlecht geschlafen?«
Alex erklomm die Stufen, dann setzte er in der Küche Kaffee auf. Nein, nicht schlecht geschlafen. Nur dämlich benommen. Wer, wenn nicht er selbst, wusste, wie viele Spinner, Hellseher und Trittbrettfahrer mit vermeintlich wichtigen Hinweisen die Eltern eines verschwundenen Mädchens erschreckten. Lisa Theis war von zu Hause abgehauen. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Paul verteilte Teller und Besteck auf dem Küchentisch. »Okay, ich gebe zu, das war dumm von mir, gestern Abend. Ich hätte wissen sollen, was die Arbeit Ben bedeutet, im Jugendclub, mit den Kids.«
Alex schwieg.
»Und ja, gestern Mittag sind die Pferde ebenso mit mir durchgegangen.« Paul stellte Marmelade, Schinkenaufschnitt und Butter auf die Tischplatte. »Du hast ja recht, wenn ich ständig wieder davon anfange, dann … dann … Na ja, du weißt, was ich sagen möchte.«
Alex entnahm dem Küchenschrank zwei Kaffeetassen.
»Ich werde dich auch nicht mehr damit behelligen, versprochen. Ich werde … Hey, Mann, wohin willst du?«
Alex blieb stehen. »Runter in den Garten.«
»Und warum decke ich hier den Tisch?«
Alex grinste. »Das frage ich mich schon die ganze Zeit.«
Laura trommelte mit ihren Fingern auf die Anrichte. »Sam, beeil dich bitte!«
Aus dem Badezimmer ertönte ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Platschen. Mit klitschnassem Pullover erschien Lauras Sohn am Treppenabsatz.
»Verflixt, Sam, was soll …« Sie biss sich auf die Lippe. »Ach, vergiss es, ist nur Wasser. Das kriegen wir wieder hin.« In seinem Zimmer suchte sie Sam einen neuen Pullover aus dem Kleiderschrank. »Jetzt aber rasch, oder willst du kein Frühstück?«
Als sie sah, wie er ungeschickt den Pullover anzuziehen versuchte, fügte sie hinzu: »Pass auf, dass du nicht die Treppe runterfällst!«
Sam verschwand in die Küche. Laura hängte seine nasse Kleidung über die Badewanne. Im Waschbecken blockierte die Handseife den Abfluss, und Lauras kleiner Handspiegel lag zerbrochen im Wasser.
Sie ermahnte sich zur Nachsicht, auch wenn es ihr schwerfiel nach der zurückliegenden Nacht, in der sie kaum Schlaf gefunden hatte.
Gegen sechs Uhr hatte sie sich mit einem Tee in die Küche gesetzt, abwechselnd den feuchten Fleck an der Zimmerdecke, die fürchterlich langsam tickende Sonnenblumenuhr und die Zigaretten auf dem Tisch angestarrt und darauf gewartet, dass es endlich an der Zeit war, ihrem Sohn das Frühstück zuzubereiten und ihn zum Schulbus zu bringen.
Durchs Fenster sah sie ihre Schwägerin und deren Mann den Vorgarten durchqueren. Laura eilte hinunter zur Tür. »Und? Hast du …? Gibt es …?«
»Nur die üblichen Verdächtigen, Wichtigtuer, sogar ein Wahrsager, solche Spinner eben.« Frank machte eine kurze Pause. »Und, na ja, möglicherweise ein Zeuge, der sich heute Morgen gemeldet hat. Er glaubt, Lisa wiedererkannt zu haben.«
»Ehrlich?« Ihr Herz schlug Laura bis zum Hals. »Wo? Wann?«
»Offenbar war sie am Samstag im Weekend .«
» Weekend? «
»Eine Disco in Berlin.«
Laura rief sich die Flyer auf Lisas Schreibtisch ins Gedächtnis, von den Clubs mit den seltsamen Namen. An ein Weekend konnte sie sich nicht erinnern.
»Ich fahre jetzt nach Berlin, um diesem Zeugen einen Besuch abzustatten«, erklärte ihr Schwager.
Laura hielt ihn zurück. »Und was ist mit dem Fernsehen? Mit dem Radio?«
»Die Öffentlichkeitsfahndung wird weitergeführt, das wolltest du doch hören, oder?« Frank ging zur Tür. »Wenn ich etwas Neues erfahre, sag’ ich dir Bescheid, okay?«
»Ja«, antwortete Laura. Sie nahm das Brot entgegen, das Renate vom Supermarkt mitgebracht hatte. In der Küche zeichnete Sam mit der Gabel Linien auf die Tischdecke. Sie legte eine Stulle auf seinen Teller, die sie mit Nutella beschmierte. Die Sonne strahlte durchs Fenster und
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