Die Mädchenwiese
Erinnerung herauf, an den Sommer und die warmen Strahlen der Sonne, meinen lachenden Vater auf der Terrasse.
Doch sosehr ich mich bemühte, diesmal gelang es mir nicht, dem Grunzen meines Onkels, seinem verschwitzten Leib und den Schmerzen zu entfliehen.
Als ich danach mein beschmutztes Bettlaken in die Wäsche stopfte, traf ich eine Entscheidung: Nie wieder würde ich es tun. Nie wieder würde ich den Zorn meines Onkels provozieren.
Am nächsten Abend ging ich nicht zum Brunnen. Selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre mir unmöglich gewesen. Mein Gesäß brannte wie Feuer. Ich konnte kaum laufen, sitzen noch viel weniger. Auch am zweiten Tag, als der Schmerz etwas nachgelassen hatte, mied ich den Dorfplatz. Ich verließ unser Haus nur, um meine Pflichten in der Bäckerei zu erfüllen und die Tiere im Stall zu versorgen.
Kurz vor Feierabend des dritten Tages trat Ferdinand vor die Bäckerstheke. »Du bist nicht zum Brunnen gekommen.«
Mein Herz klopfte wild. Zum Glück hatte sich mein Onkel bereits hinüber ins Haus begeben, um meiner Tante bei Mutters Abendwäsche zu helfen. Meine Stimme war nicht mehr als ein Wispern. »Es tut mir leid.«
»Ich dachte, unser Abend wäre schön gewesen.«
»Das war er auch.«
»Dann verstehe ich nicht …«
»Es geht nicht!«
Ferdinand verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist es wegen deiner Mutter? Hast du ein schlechtes Gewissen?«
In gewisser Weise lag er nicht einmal falsch. Ich nickte.
»Das wird sich legen.«
»Nein«, sagte ich, »nein, es ist …«
»… alles halb so wild, da bin ich mir sicher.« Er lächelte mich an, und sofort krampfte sich mein Magen zusammen.
»Es geht nicht«, wiederholte ich.
Kapitel 26
Die Stille im Wohnzimmer schien Laura unerträglich und machte ihr nur umso schmerzlicher bewusst, was alles der Vergangenheit angehörte. Es gab keine fröhlichen Kinder mehr, die am Abend, kurz vor dem Zubettgehen, durch das Haus tollten. Kein Lachen mit Freunden, die in der Stube beisammensaßen und Urlaubspläne schmiedeten.
»Laura!« Die Stimme ihres Mannes riss sie aus ihren Gedanken. »Wir haben doch gestern über das Haus gesprochen.«
»Das ist jetzt nicht so wichtig.«
Rolf streckte die Hand nach seiner Freundin aus, schien sich in letzter Sekunde aber zu besinnen. Sein Arm zuckte zurück. »Also, wir sollten das Haus wirklich verkaufen.«
Laura traute ihren Ohren nicht. »Ist das dein Ernst?«
»Hätte ich es sonst vorgeschlagen?«
Lauras Zähne knirschten, so fest presste sie ihre Kiefer aufeinander. »Warum bist du noch mal hier?«
»Äh, weil wir uns Sorgen machen.«
»Deine Tochter ist verschwunden, und dir fällt vor lauter Sorge nichts anderes ein als der Verkauf des Hauses?!«
»Ich glaube …«
Laura fiel ihm ins Wort. »Ihr solltet besser gehen.«
»Ich finde …«
»Geht!«
»Aber …«
Sie hob die Hand, holte Luft − aber sie schwieg. Ihr fehlte nicht nur die Kraft, ihr fehlten auch die Worte. Sie ertrug den Anblick ihres Mannes und seiner verlogenen Freundin nicht mehr und floh zur Treppe. Als sie Schritte hinter sich hörte, ging sie ins Bad und verriegelte die Tür. Es klopfte.
»Laura«, flüsterte Charlotte.
Laura sank auf die Kloschüssel.
»Laura, bitte.«
Laura ignorierte das Flehen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Irgendwann hörte sie, wie Charlotte wieder ins Erdgeschoss ging und die Haustür ins Schloss fiel. Dann heulte ein Motor auf. Kurz darauf kehrte endlich Stille ein. Tränen rannen über Lauras Gesicht. Das Badezimmer verschwamm vor ihren Augen. Keine Kinder. Keine Freunde , dachte sie. Das ist alles nicht wahr!
In ihr Schluchzen mischte sich das Läuten an der Haustür.
Alex sah den Jungen an, der durch den Nebel eilte. »Schon wieder so hastig?«
Der kleine Theis blieb stehen. Sein Blick fand Gizmo, der hinter Alex auftauchte. Furcht stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Gizmo ist harmlos, sieh nur!« Alex hockte sich hin und tätschelte dem Retriever die Flanke. »Du bist Sam, richtig? Der Bruder von Lisa.«
Sam sah Alex kurz an, ehe er wieder zur Seite blickte.
»Hast du was von deiner Schwester gehört?«
Der Junge presste die Lippen aufeinander.
Alex stemmte sich in die Höhe. Der kleine Theis war schüchtern und traurig, was ihm nicht zu verdenken war, nicht nach dem Verschwinden seiner großen Schwester. Doch Alex glaubte noch einen anderen Ausdruck in Sams Miene zu erkennen.
Unter den Barhockern kursierten Gerüchte über den Jungen. Einige hielten ihn für
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