Die Mädchenwiese
zurückgeblieben, andere sahen in der Trennung seiner Eltern den Grund dafür, dass er so in sich gekehrt war.
»Wie geht es dir?«, fragte Alex.
Sam flüsterte etwas.
»Wie bitte?«
»Schon okay«, nuschelte der Junge.
»Ziemlich blödes Wetter zum Spazieren, oder?«
»Sie sind ja auch spazieren.«
»Gezwungenermaßen.« Lächelnd strich Alex seinem Hund über den Kopf.
Sam sah den Retriever scheu an, dann richtete er seinen Blick auf die vernebelte Straße. Das Handy klingelte, doch Alex drückte das Gespräch weg und machte einen Schritt auf den Jungen zu.
»Geh nach Hause!« Alex hielt Gizmo am Halsband fest.
Der Junge lief in den Nebel davon. Das Haus seiner Familie lag in der entgegengesetzten Richtung.
Verwundert sah Alex ihm nach. Dann glaubte er plötzlich zu verstehen. Das war keine Schüchternheit oder Angst bei dem Jungen gewesen, nicht einmal Kummer. Das war Ungeduld! Sam hatte weitergewollt, so schnell wie möglich, mit wilder Entschlossenheit. Aber weshalb? Und wohin wollte er zu dieser nachtschlafenden Zeit?
Alex verspürte ein leises Unbehagen. Er ging weiter, zückte jedoch sein Handy und wählte die Nummer eines ehemaligen Kollegen aus dem Berliner Kriminaldezernat. Du hättest schon viel früher anrufen sollen!
Nach zwei Freizeichen meldete sich eine Stimme. »Schöffel!«
»Alex Lindner hier.«
»Alex? Mensch, das ist ja eine Überraschung. Wie geht es dir?«
»Danke, gut.«
»Man hat ja so einiges gehört.«
»Tatsächlich?«
»Irgendwer hat behauptet, du hättest eine Kneipe?«
»Wenn du Zeit hast, komm auf ein Bier vorbei.«
»Ehrlich? Nicht zu fassen.« Schöffel lachte schallend.
Alex blieb neben dem blassen Lichtkegel einer Straßenlaterne stehen. »Ich habe eine Bitte. Kannst du einen gewissen Arthur Steinmann für mich überprüfen? Telefonnummer und Adresse schicke ich dir gleich noch per SMS . Gibt es was über ihn in den Datenbanken? Egal welche, Melderegister in Berlin, Flensburg, BKA , Interpol, alles.«
»Du weißt, dass ich das nicht darf.«
»Es ist wichtig.«
»Warum flüsterst du?«
Alex blieb stehen, als sich die Tür des gegenüberliegenden Hauses öffnete. Eine Frau und ein Mann stürmten zu einem grünen Ford. Als sie losfuhren, rammten sie fast einen Touareg und einen alten Käfer.
»Alex?«, fragte Schöffel. »Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du …?«
»Ich weiß es nicht.«
Schöffel ließ einige Sekunden verstreichen, dann sagte er: »Ich sehe mal, was ich machen kann.«
Alex kappte das Gespräch, überquerte die Straße und betätigte die Klingel.
Als Laura das Badezimmer verließ, sah sie, wie Frank in der offenen Haustür stand und sich mit dem Dorfwirt unterhielt. Obwohl Lindner leise sprach, konnte sie hören, was er sagte. »Es tut mir leid für die Störung, und ich möchte mich auch entschuldigen für mein Auftreten gestern Abend. Ich habe …«
Frank unterbrach ihn. »Was? Was haben Sie?«
»Eine Frage.« Der Kneipenbesitzer zögerte. »Wissen Sie inzwischen etwas mehr über das Verschwinden Ihrer Nichte?«
»Selbst wenn ich etwas wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen«, knurrte Frank.
»Aber Sie sind sich wirklich sicher, dass sie ausgerissen ist?«
Lauras Schwager ging vor die Tür und schloss sie bis auf einen schmalen Spalt hinter sich. Dennoch konnte Laura jedes Wort verstehen. »Noch einmal, dazu werde ich mich nicht äußern, erst recht nicht Ihnen gegenüber.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe mich über Sie erkundigt.«
»Warum?«
»Das sollten Sie am besten wissen. Die Polizei überprüft jede eingehende Information – und auch jeden Hinweisgeber.«
»Ich habe keinen Hinweis gegeben.«
»Nein, aber trotzdem standen Sie gestern bei uns auf der Matte. Und deshalb …«
»Ja, ist schon gut, ich hab’ verstanden.«
»Schön, Herr Lindner, und deshalb nur für Sie, ein einziges Mal: Es gibt viele Gründe, weshalb junge Mädchen verschwinden. Auch das wissen Sie am besten. Aber es gibt keinen Hinweis auf ein …« Ein Windstoß ließ die Tür etwas weiter aufschwingen. Lauras Schwager zog sie wieder zu und senkte die Stimme, als er sagte: »… auf ein Verbrechen oder – auf Morde wie vor drei Jahren.«
Morde? Vor drei Jahren? Laura hielt den Atem an. Auch Lindner schien es die Sprache verschlagen zu haben.
»Ich weiß, was damals geschehen ist und was danach mit Ihnen passiert ist«, fuhr Frank fort.
»Sie wissen gar nichts!« Der Kneipier klang verärgert.
»Vor allem weiß ich eines:
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