Die Mädchenwiese
abgehauen. Glaubt mein Schwager. Und ich … ich versuche auch, mir das einzureden.«
Er nickte, ohne sie anzusehen. »Warum, glauben Sie, sollte Lisa von zu Hause abgehauen sein?«
Laura schluckte. »Warum?«
»Weil sie unglücklich zu Hause war«, sagte Lindner an ihrer Stelle. »Weil es Probleme gab.«
Laura leckte sich die Lippen.
»Aber sie hat Ihnen gegenüber nie ein Wort darüber verloren, oder? Sie hat nur in ihr Tagebuch geschrieben. Oder ihrer Freundin gegenüber Andeutungen gemacht, richtig?«
Laura nickte.
»Hatte Ihre Tochter einen älteren Freund? Der sie mit Geschenken bedachte?«
Die Frage überraschte Laura. »Ja, aber …«
»… Sie haben nichts davon gewusst?«
Laura versteifte sich.
»Und jetzt glauben Sie, Ihre Tochter ist gemeinsam mit diesem Freund abgehauen, richtig?«
Laura bekam keinen Ton über die Lippen.
»Wie haben Sie von diesem Freund erfahren?«
Sie holte Luft. »Woher …?«
»Nur durch Zufall? Oder?«
»… wissen Sie das alles?«
Seine Miene wurde starr.
Laura begriff. »So war es schon vor …« Ihre Stimme versagte. Sie wagte nicht, es auszusprechen. Sie wünschte sich, sie wäre nicht hergekommen, hätte einfach den Mund gehalten, hätte nicht gefragt. Dennoch – sie musste es wissen. »Hat Lisas Verschwinden mit der … mit Ihrem alten Fall zu tun?«
Kapitel 31
»Warum steigst du nicht aus?«
Ferdinands Stimme drang aus weiter Ferne an mein Ohr. Ich saß noch auf dem Beifahrersitz im Wartburg, in der Einfahrt zu seinem Haus. Ferdinand war bereits ausgestiegen. Er wartete vor der Haustür auf mich.
Ich konnte mich nicht bewegen, und das war nicht dem Alkohol geschuldet, den ich auf meiner Hochzeitsfeier getrunken hatte − über den Tag verteilt nicht mehr als zwei oder drei Gläser Rotwein, Müller-Thurgau, Ferdinands Lieblingstropfen.
Weil ich mich noch immer nicht rührte, kam er zurück. Er öffnete mir die Wagentür, beugte sich vor, hob mich von meinem Sitz und trug mich ins Haus. Viele andere Frauen hätten mich ganz sicher um diesen romantischen Augenblick beneidet, so wie sie mich auch um Ferdinand beneideten, diesen vornehmen Herrn aus Berlin. Mir fiel es schwer, den Moment zu genießen.
In der Vergangenheit hatte Ferdinand mich schon einige Male auf sein Grundstück eingeladen, meist nach einem Abend im Theater oder bei einem Konzert, doch ich hatte jedes Mal abgelehnt. So etwas geziemte sich nicht für ein unverheiratetes Paar. So war das damals auf dem Dorf. Heute geht alles viel lockerer zu, und die jungen Leute haben keinen Anstand, so wie die Mädchen sich kleiden, abends im Dorf …
Ich möchte nicht leugnen, dass diese Konventionen mir gelegen kamen, wann immer Ferdinand mich in sein Haus eingeladen hatte. Aber die Wahrheit war natürlich: Es gab tausend andere Gründe, weshalb ich nicht zu ihm wollte. Weil ich seine Nähe, seine körperliche Nähe scheute. Weil ich fürchtete, nein, weil ich wusste, sie nicht ertragen zu können. Weil sie Erinnerungen in mir wecken würde, die unaussprechlich waren. Doch in dieser Nacht, meiner Hochzeitsnacht, würde es keinen Aufschub mehr geben.
Diese Nacht war mein erstes Mal – das erste Mal, dass ich aus Liebe mit einem Mann schlief. Das machte mir den Akt mit ihm natürlich nicht leichter. Auch nicht, dass ich meinen Gatten in dem festen Glauben ließ, er wäre der erste Mann für mich. Für einige Sekunden hatte ich deswegen sogar ein schlechtes Gewissen, als er mich über die Schwelle in sein Schlafzimmer trug. Doch es wich sofort wieder der Angst, als er mich entkleidete und berührte. Ich versteifte mich. Ferdinand bekam davon nichts mit, und falls doch, ließ er es sich nicht anmerken. Wahrscheinlich hielt er es nur für die Zaghaftigkeit seiner unberührten Frau. Aber er war fordernd. Wild und voller Leidenschaft – oder das, was ich für Leidenschaft hielt. Ich kannte es ja nicht besser.
»Du siehst so gut aus«, keuchte er in mein Ohr.
Er knetete meine Brüste.
»Du bist die Frau, die ich mir immer vorgestellt habe.«
Seine Finger glitten in meine Scham.
»Du bist genau die Richtige für mich.«
Es tat weh, als er in mich eindrang. Doch von meinem Onkel war ich Schlimmeres gewohnt. Dank ihm … wie das klingt: Als wäre ich ihm tatsächlich dankbar dafür gewesen! Aber dank meines Onkels hatte ich gelernt, mich dabei wegzudenken, den Schmerz zu verdrängen. Also tat ich es auch jetzt.
Ja, ich weiß, was Sie denken, aber bitte, sagen Sie mir, was hätte ich in jener
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