Die Mädchenwiese
die sich wie aus dem Nichts vor ihm auftat. Der Nebel zerstob, und Mondlicht tauchte das freie Waldstück in einen silbernen Glanz. Die Kirchberger kniete. Sam beugte sich vor. Sei leise! , ermahnte er sich im Geiste. Es sah fast aus wie –
Ein junges Mädchen. Ihre Schönheit. Ihr Schmerz.
Sam trat erschrocken einen Schritt zurück. Zweige knackten unter seinen Schuhen. Die alte Hexe fuhr zu ihm herum.
Erschöpft hielt Alex vor der Elster . Gizmo sprang ungeduldig auf den Bürgersteig, markierte die Wand und stierte dann in die Nebelschleier, die über dem Dorfplatz hingen. Ein Mädchen schlappte mit Flip-Flops heran. Alex vergaß seine Kopfschmerzen. »Hey, du warst doch vorhin am Brunnen?«
Die junge Frau reckte trotzig ihr Kinn hoch. »Ja, und?«
»Hab’ ich nicht gesagt, geht nicht alleine heim?«
»Sind Sie mein Vater, oder was?«
»Du bist Karen, oder? Dein Vater Robert ist ab und zu in der Elster .«
»Kann sein.« Karen zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand durch ihre langen schwarzen Haare.
»Ihr wohnt außerhalb.«
»Nur ein paar hundert Meter.«
»Komm, ich fahr’ dich nach Hause.«
»Quatsch.«
»Soll ich dir ein Taxi rufen?«
Karen schnaubte, während sie weiterlief.
»Jetzt sei doch vernünftig.«
Sie beschleunigte ihren Schritt und stolperte über einen Pflasterstein. Alex machte einen Satz nach vorne, fing sie auf.
Sie schubste ihn weg. »Lassen Sie mich los.« Ihre panische Stimme hallte über die Dorfstraße. Alex trat einen Schritt zurück. Gizmo kläffte.
Im nächsten Moment flog die Kneipentür auf, und Paul trat ins Freie. »Was ist los?«
»Der Typ spinnt!« Karen umschlang ihren Oberkörper. Eine Gänsehaut überzog ihre nackten Arme.
»Ich will nur nicht, dass sie so spätabends alleine durch den Ort läuft«, sagte Alex.
»Dann ruf ihr ein Taxi«, schlug Paul vor.
»Ey, Leute, seid ihr bescheuert? Ich hab’ kein Geld dafür. Und außerdem …«
»Dann bezahl’ ich dir das«, sagte Alex.
»Klar doch, und was willst du dafür?« Sie zeigte ihm den Mittelfinger, drehte sich um und stakste davon.
Alex starrte ihr hinterher.
»Lass sie, wenn sie nicht will.« Paul schob ihn in die Elster .
An der Theke hockten die zwei Barhocker. Krause und Hartmann klammerten sich an ihre Biere, darum bemüht, nicht weiter aufzufallen. Alex setzte sich an den Stammtisch, der verwaist in der Ecke stand.
»Kannst du mir mal sagen, was los ist mit dir?«, fragte Paul.
Alex blickte sich im Schankraum um. »Nichts los heute?«
»Lenk nicht vom Thema ab.«
»Dann machen wir Feierabend.«
Alex marschierte zum Tresen und kippte den Barhockern noch einen Schnaps in die Gläser.
»Ist ja gut«, murrte Hartmann.
»Wir gehen ja schon«, brummte Krause.
Alex folgte ihnen rasch zur Tür. Hartmann und Krause torkelten hinaus. Doch bevor Alex die Tür hinter ihnen verriegeln konnte, schwang sie wieder auf.
Laura Theis trat in die Kneipe.
Lauf! , schrie eine panische Stimme in Sam. Renn weg!
Doch er rührte sich nicht vom Fleck. Er war wie gelähmt. Als hätte ihn die alte Kirchberger mit einem Fluch belegt. Die böse Hexe! Ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Dennoch spürte Sam ihren durchdringenden Blick. Mit Entsetzen sah er, wie die Greisin sich hochstemmte. Sie stöhnte und schleppte sich über die Lichtung. Geradewegs auf Sam zu. Endlich löste sich seine Erstarrung. Er hetzte zurück in den Wald. Da packte ihn etwas an der Schulter. Er schrie auf, schlug um sich. Etwas knackte. Es war nur ein Ast, der zerbrach. Erleichtert rannte er weiter. Immer wieder verhakten sich Zweige in seinen Pullovermaschen. Als wollten sie ihn aufhalten. Niederringen. Als ständen sie im Bunde mit der Kirchberger. Sam glaubte ihr Kichern zu hören. Vielleicht war es aber auch nur sein eigener Atem. Er wagte keinen Blick zurück, dazu fehlte ihm der Mut.
Fast übersah er den Baumstamm, der abrupt seinen Weg kreuzte. Mit einem wilden Satz hechtete er darüber hinweg.
Wo liegt das Dorf, verdammt?
Sein Puls raste. Seine Lunge rasselte. Schweiß perlte ihm auf der Stirn, floss ihm in die Augen. Er wischte sich über das Gesicht. Wie aus dem Nichts erhoben sich vor ihm große, bedrohliche Gestalten. Sein Herz setzte aus. Dann begriff er, dass es nur die morschen Überreste des Grillplatzes waren.
Jetzt wusste Sam, wo er war. Er steuerte auf die Holzbänke zu, hinter denen der Waldweg zurück ins Dorf verlief. Sam hatte ihn gerade erreicht, als sich ein Seil um seine Knöchel schlang. Das
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