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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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mich schlaflos herum. Ich verlor an Gewicht. Als ich Ferdinand das nächste Mal traf, brach ich in Tränen aus.
    »Ich kann nicht«, sagte ich mit erstickter Stimme.
    »Was kannst du nicht?«
    »Das … die … Hochzeit.« Mein Atem ging stoßweise. »Ich … kann … das  … nicht.«
    »Aber das mit deiner Mutter ist geklärt.«
    »Nein, nein … Nicht … meine Mutter … Mein Onkel …«
    »Er ist doch für sie da, oder?«
    »Ja, aber …«
    »Dann ist alles halb so wild.«
    Ich hätte schreien können. Ferdinand verstand nicht, was ich sagen wollte. Ich wusste selbst nicht, was ich sagen konnte. Der Tag meiner Hochzeit rückte näher. Mir ging es immer schlechter.
    Dann war es endlich so weit und – nichts geschah. Mein Onkel bewahrte sein Schweigen. Er rührte mich nicht mehr an, und er blieb bei meiner Mutter. Eine Woche vor meinem großen Tag drückte er mir sogar ein Bündel Geldscheine in die Hand.
    »Für dein Hochzeitskleid«, sagte er.
    Noch Tage später rätselte ich über den Sinn dieser Geste. Ich begriff ihn nicht, nicht nach allem, was geschehen war. Ich verstand nur eines: Ich begann ein neues Leben. Mein eigenes Leben. Vielleicht war dies das Wichtigste.
    Die Hochzeit war ein großes Fest. Zur Trauung kamen Ferdinands Kollegen aus Berlin. Meine alten Kameradinnen aus der Schule bildeten vor dem Standesamt ein Spalier. Sie warfen Reis. Sogar mein früherer Freund Harald beglückwünschte mich. Meine beste Freundin Regina, die inzwischen in Berlin lebte, stand mir als Trauzeugin zur Seite. Gemeinsam mit ihr hatte ich auch mein Hochzeitskleid ausgesucht. Ihre Anteilnahme rührte mich besonders. Wir hatten uns so lange nicht gesehen. Doch sie war mir nicht böse.
    Am Abend, als das Fest im Garten unseres Hauses sich allmählich dem Ende zuneigte, fragte sie: »Berta, ab jetzt sehen wir uns wieder öfter, oder?«
    »Ja«, sagte ich, »ja.«
    Sie umarmte mich.
    Zum Abschied hauchte ich meiner Mutter einen Kuss auf die Wange. Sie saß im Rollstuhl, und obwohl der Tag sie viel Kraft gekostet hatte, wirkte sie zufrieden. Dann wuchtete ich die Tasche mit meinen Kleidern in den Fond des geschmückten Wartburgs und nahm auf dem Beifahrersitz neben Ferdinand Platz. Er hupte und gab Gas. Alle winkten sie, während wir zwei Straßen weiter zu seinem Anwesen an der Gräbendorfer Straße fuhren, zu dem Haus vorm Ortsausgang, wo mich mein neues Leben erwartete. Und die Hochzeitsnacht.
    Kapitel 30
    Sam hatte jedes Zeitgefühl verloren, während er hinter einer Hecke wenige Meter entfernt vom Ortsschild kauerte. Seine Arme und Beine waren steif gefroren. Seine Füße fühlten sich taub an. Den schmerzenden Zeh spürte er nicht mehr. Doch es war nicht die kalte Nacht, die ihn zum Frösteln brachte.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite trat die Kirchberger zwischen den Sträuchern ihres Anwesens hervor. Das Grundstück war verwahrloster als der Garten von Sams Mutter. Fast wie ein richtiges Hexenhaus.
    Die alte Frau humpelte zur Dorfmitte. Sam streckte sich, seine Arme und Beine knackten. Nur zögerlich kehrte das Gefühl zurück. Dann nahm er die Verfolgung auf. Die Kirchberger hielt sich dicht an den Häuserfassaden, mied das Laternenlicht. Immer wieder trieben Nebelschwaden an ihr vorüber, umhüllten sie wie ein Kleid, nur um sie gleich darauf wie einen Geist wieder auszuspucken.
    Plötzlich blieb sie stehen. Aus weiter Entfernung war eine Frauenstimme zu hören, die rief: »Lassen Sie mich los.«
    Sam wich tiefer in den Schatten.
    Eine Tür wurde zugeschlagen. Stille. Als Sam wieder nach der alten Kirchberger sah, war sie weg. Er bekam es mit der Angst zu tun. Was, wenn sie aus dem Nebel auf ihn zustürzte? Dann fiel ihm ein, dass er sich ganz in der Nähe des Pfades befand, der in den Wald führte. Er eilte darauf zu, und tatsächlich tauchte scho n bald die alte Frau wieder vor ihm auf. Doch je tiefer er ihr in den Wald folgte, umso unheimlicher wurde es ihm. Was wollte sie hier in der Dunkelheit? Und um diese Zeit? Die Kälte kroch in seine Glieder. Seine Hände zitterten. Seine Zähne schlugen aufeinander. Zum Glück knirschte es fortwährend unter den Schuhen der alten Frau, so dass er sich keine Sorgen darüber machen musste, ob er sich durch seine eigenen Geräusche verriet. Die Kirchberger ging immer tiefer in den Wald. Sam sah sich nach etwas um, das ihm vertraut vorkam, aber da war nichts, außer Nebel, Bäumen und Wurzeln.
    Er geriet ins Straucheln, stolperte auf eine kleine Lichtung,

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