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Die Mädchenwiese

Die Mädchenwiese

Titel: Die Mädchenwiese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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kalkweiß.
    Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: »Was ist mit ihnen passiert?«
    Sam hatte seinen Onkel noch nie so wütend erlebt. Doch die Panik war größer als die Angst vor einer Schelte.
    »Onkel Frank, Onkel Frank …«, rief er, während sein Atem noch immer stoßweise ging, »Lisa … ich hab’ … sie ist …«
    »Sam!«, polterte sein Onkel mit hochrotem Gesicht. Seine Lippen waren nur zwei schmale Linien. Sein Zeigefinger schwebte wie ein Dolch in der Luft. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es ist? Wo zum Teufel hast du …«
    »Ich war …« Sam verschluckte sich und musste husten. »… im Wald.«
    »Im Wald? Um diese Zeit?«
    »Ich hab’ …« Sam hustete noch immer. »… die Kirchberger …«
    »Ach, Sam.«
    »… gesehen und …«
    »Und da hast du einen Schreck bekommen, wie mir scheint.«
    Sam konnte nicht sprechen. Er musste warten, bis sich sein Husten endlich beruhigte.
    »Was mich nicht wundert.« Das Gesicht seines Onkels entspannte sich ein bisschen. Über seinen Mund glitt ein Lächeln. »Was schleichst du dich auch spätabends bei diesem Mistwetter aus dem Haus?« Seine Erheiterung verflog. Verärgert zog er seine Augenbrauen zusammen. »Also so langsam frage ich mich wirklich, was in euch vorgeht. Erst du, dann deine Mutter …«
    »Mama?« Sam schnappte nach Luft. »Wo ist Mama?«
    »Ich kann mir denken, wo sie steckt. Aber jetzt reden wir erst einmal über dich und …«
    »Nein, nein, nicht ich, die … die Hexe, sie hat …«
    »Sam«, unterbrach ihn Frank mit einem Seufzen. Aus dem Wohnzimmer kam seine Frau, mit der er einen mitleidigen Blick wechselte. »Jetzt mal ehrlich, Sam, wie alt bist du?«
    Sam schüttelte den Kopf. »Aber das …«
    »Das sind nur Geschichten, die man sich erzählt. Nur Unsinn, der …«
    »Nein!« Das ist kein Unsinn! , wisperte eine Stimme in Sams Hinterkopf. Er musste an das denken, was er im Wald beobachtet hatte. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken, und er zitterte. Es hatte ausgesehen wie –
    Ein junges Mädchen. Ihre Schönheit. Ihr Schmerz.
    »Du glaubst also, dass sie eine Hexe ist?«, fragte Tante Renate.
    »Ja«, platzte es aus Sam heraus. Denn das, dessen er vor wenigen Minuten auf der Waldlichtung Zeuge geworden war, hatte ausgesehen wie … ein Menschenopfer!
    »Schlimmes«, sagte Alex ausweichend. Und das tagelang, manchmal wochenlang , setzte er in Gedanken hinzu. Bevor man ihre Leichen irgendwo am Straßenrand aufgefunden hatte, grausam entstellt, entsorgt wie ein Stück nutzloses Vieh. Aber diese Details wollte er Lisas Mutter ersparen.
    »Deshalb der Name?« Sie atmete schwer. »Die Bestie?«
    »Eigentlich Straßenbestie . Den Namen hat ihm die Presse gegeben, als sie von den … Als sie von den Entführungen erfuhr.«
    »Aber Sie haben ihn … erwischt, oder?«
    »Ich hatte ihn … fast. Er konnte entkommen.«
    »Warum?«
    »Es ist …« Alex stockte, spürte unversehens wieder Kopfschmerzen. In den vergangenen Minuten hatte er sie vergessen. Jetzt wüteten sie hinter seiner Stirn, als wären sie Teil der Erinnerung, die wachgerufen worden war. »Es ist etwas passiert. Ich habe eine … Dummheit gemacht.«
    Laura Theis sah ihn erwartungsvoll an.
    »Da war eine Frau … Tanja … und sie …« Er schüttelte erneut den Kopf, was die Schmerzen einmal mehr entfachte. Er rieb sich die Augen. »Nein, das spielt keine Rolle, das hat hiermit nichts zu tun. Es war ein Fehler, es war mein Fehler.«
    »Aber jetzt, glauben Sie … Sie glauben, diese … diese Bestie ist zurück?«
    Alex lag die Antwort auf der Zunge. Er schluckte sie hinunter. Er hatte ein Gefühl. Einen unbestimmten Verdacht. Aber nichts Konkretes. Er fragte sich, ob es tatsächlich eine Parallele zwischen allen Vorfällen gab oder ob er sich diese nur einbildete. Weil du paranoid geworden bist! Er wusste es nicht.
    »Nein«, hörte er sich sagen, »Ihr Schwager hat recht. Lisa ist bestimmt nur von zu Hause abgehauen. Ihr Verschwinden hat mit der Sache von damals nichts zu tun. Die Bestie ist seit drei Jahren verschwunden. Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass sie …«
    Mit einem Ruck stand Lisas Mutter auf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Wen wollen Sie damit überzeugen? Sich selbst?«
    Alex wich ihrem Blick aus, gleichzeitig wurde ihm klar, dass sein Schweigen Antwort genug war.
    Laura Theis blieb im Türrahmen stehen. Sie schien auf etwas zu warten. Tränen tropften ihre Wangen herab. Alex suchte nach den richtigen

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