Die Mädchenwiese
ging?«
»Immer die gleiche Geschichte. Laute Partys. Drogen. Die Eltern kriegen das nicht in den Griff. Sie sind nur selten zu Hause.« Sie zuckte mit den Schultern. »Sind Sie jetzt bei der Polizei oder nicht?«
»Haben Sie eine Ahnung, wo Zack stecken könnte?«
Sie lachte. »Für diesen Umgang bin ich wohl ein bisschen zu alt, meinen Sie nicht auch?«
Alex lächelte, dankte ihr und kehrte mit Gizmo zurück zu Pauls Wagen. Das Knistern der Bucheckern unter seinen Schuhen wurde vom Dröhnen eines Basses überlagert. Kurz darauf verstummte die Musik. Vor dem Haus der Zachowskis hielt ein tiefergelegter Audi. Ein junger Mann in Kapuzenshirt und weiten Baggy Pants stemmte sich aus dem Wagen, den Blick auf sein Handy gerichtet.
Die knackenden Bucheckern unter Alex’ Schuhen ließen Zack aufschauen. Er drehte sich um und rannte davon.
»Schläfst du?«, drang eine Stimme aus der Dunkelheit.
Lauras Traum, ein Sammelsurium beängstigender Bilder, entwand sich ihrem Gedächtnis noch im selben Augenblick.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken«, flüsterte Renate.
»Ich wollte nicht schlafen!« Nur zögerlich gewöhnten sich Lauras Augen an die Finsternis. Renate zeichnete sich als schwarzer Schemen vor ihr ab. »Wo ist Sam?«
»Mach dir keine Sorgen. Er ist drüben bei uns. Meine Mutter kümmert sich um ihn.«
Renates Mutter war über siebzig, atmete von Jahr zu Jahr schwerer, und ihre Beine schwollen immer mehr an. »Bist du sicher, dass …«
»Ach komm, als wenn Sam ein Rabauke wäre!« Ihre Schwägerin kicherte.
Ist das Spott? , überlegte Laura verunsichert. Denn jeder wusste, dass Sam kein Flegel war, sondern sie als Mutter nur überforderte. Laura rieb sich die Augen. »Wie spät ist es?«
»Kurz nach zehn.«
Erneut glaubte Laura einen kritischen Unterton in Renates Stimme vernommen zu haben. Das redest du dir nur ein! , beruhigte sie sich. Aber trotzdem: Wie um alles in der Welt hatte sie bloß so lange schlafen können? Lisa war verschwunden. Womöglich in den Händen der … Bestie.
Und du hast nichts Besseres zu tun, als im Bett zu liegen!
Doch am Abend zuvor, nach ihrer Rückkehr aus der Kneipe, war die letzte Kraft, die Laura noch aufrecht gehalten hatte, von ihr abgefallen. Die Anstrengungen der zurückliegenden Wochen und die Verzweiflung der letzten Stunden waren zu viel für sie gewesen. Sie war zusammengebrochen, vor den Augen ihres Schwagers, der vor Wut geschäumt hatte.
»Gibt es von Lisa …?« Mehr wagte sie nicht zu fragen.
Renate schwieg, was Antwort genug war.
»Aber irgendjemand muss sie doch gesehen haben!«
»Frank sagt, es gibt viele Hinweise. Seine Kollegen gehen allen nach. Du weißt, das dauert. Wir müssen Geduld haben.«
Aber Laura hatte keine Geduld, nicht nach dem Gespräch mit Alex Lindner am Abend zuvor. Ein Mörder! Die Bestie! Sie konnte nicht länger im Bett liegen und untätig bleiben. Sie stand auf und zog den Vorhang beiseite. Erstaunt blinzelte sie in die Sonne. »Wer sind die Leute, die auf dem Bürgersteig warten?«
»Journalisten«, erklärte Renate. »Sie stehen schon seit Stunden da. Sie wollen mit dir reden.«
»Wieso?«
»Ach, das Übliche. Vergiss sie einfach.«
Laura schloss den Vorhang, und die Dunkelheit eroberte das Schlafzimmer zurück. Als Lauras Augen sich wieder daran gewöhnt hatten, entdeckte sie auf dem Nachttisch neben ihrem Handy eine Packung Marlboro. Sie nahm sich eine Kippe.
»Möchtest du frühstücken?«, fragte Renate. »Du solltest etwas essen.«
Obwohl schon eine halbe Ewigkeit vergangen schien, seit sie etwas gegessen hatte, verspürte Laura keinen Hunger. Sie entzündete die Zigarette und nahm einen tiefen Zug.
»Oder trink einen Tee«, schlug ihre Schwägerin vor. »Er wird dich beruhigen.«
Und dann? , fragte sich Laura. Sie konnte nicht einmal mehr auf die Straße gehen, da ihr dort Reporter auflauerten. Sie würde in ihrem Haus herumsitzen müssen. Warten. Nichtstun. Und dabei immer wieder die gleichen quälenden Gedanken in ihrem Kopf herumwälzen. Ein Mörder! Die Bestie! Sie hob ihr Handy auf und wählte die Nummer ihres Schwagers.
»Ich kann jetzt gerade nicht«, meldete Frank sich, lautes Motorsurren und das Knistern eines Funkgeräts im Hintergrund.
»Frank, bitte, nur kurz, hast du noch immer nichts von Lisa gehört?«
»Lass uns später …«
»Wirklich nichts?«, unterbrach sie ihn. »Nicht eine Spur? Nach all den Fernsehberichten? Irgendjemand muss Lisa doch gesehen haben. Es kann doch
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