Die Männer der Raumstation
Seltenheiten gehörte. Der eigentliche Witz an der Situation war, daß die Männer des silbernen Asteroiden weder Piloten noch Raumschiffsmechaniker waren. Sie hatten keine Ahnung – das war die ständige Floskel gewesen, die Colonel Cuiper ständig wiederholte.
Glaubte man der Personalabteilung, so konnten weder Peer noch Ion ein Schiff steuern, noch vermochten sie einen Schraubenschlüssel richtig zu halten oder ein Kabel zu flicken. Sie waren überhaupt die »letzten Menschen«: gescheiterte Existenzen, Randfiguren der Gesellschaft und – durch nichts zu ersetzen. Das hatte sogar Bondy Cuiper zugeben müssen.
Die Nereide schoß in freiem Fall auf den Frachter zu, der irgendwo voraus in der sternübersäten Schwärze wartete und mit ausgeglühten Düsen, verschmorten Zündungen und undichten Ventilen langsam dem Merkur zutrieb. Er hatte wertvolle Kristalle in den Laderäumen.
Ion schlug das Buch auf und las sorgfältig nach, was er tun konnte, um die Düsen wieder zu neuem Leben zu erwecken und zu garantieren, daß der Frachter landen und noch einmal starten konnte. Ion konzentrierte sich, machte Notizen und zeichnete auf einen Block. Stunden später hatte er mit Hilfe schematischer Zeichnungen und der theoretischen Unterweisung des Buches eine Verfahrensweise herausgefunden, die bei geringstmöglicher Arbeit die Sicherheit des fremden Schiffes gewährleistete.
Der hagere Mann mit dem kurzgeschorenen Haar und dem Kinnbart, der sich von den Schläfen sichelförmig bis ans Kinn hinzog, las sorgfältig die Instrumente ab, fütterte erneut den Komputer, hörte zu, wie die Maschine knackend dachte und sah auf den Sichtschirm voller Zahlen.
Noch vier Stunden.
Er blickte durch die rechteckigen Quarzfenster. Um ihn herum waren die Sterne, die Gabelungen der Milchstraße und die Konstellationen. Ion fühlte sich wohl inmitten dieser kalten, stechenden Punkte; für ihn war das All eine Umgebung, vergleichbar mit einem Schwimmbecken voller warmen Wassers und keineswegs gefährlicher. Zwei Dinge waren es, mit denen sich Ion seit rund einem Monat unausgesetzt beschäftigte:
Die Möglichkeit, nicht durchzudrehen wie die anderen Männer vor ihm und die Vermutung – nein, Gewißheit –, beobachtet und studiert zu werden wie ein seltenes Insekt.
Die Lösung für das erste Problem war klar und mußte nur praktiziert werden, die Wahrscheinlichkeit, daß der zweite Teil seiner Überlegungen Fiktion war, lag für ihn nahe. Und doch ... er hatte eine Ahnung, ohne einen Beweis zu haben. Auch Peer wußte nichts von diesen seinen Gedanken.
Ion nahm eine zweite angezündete Zigarette zur Hilfe, um seine Gedanken zu ordnen. Dann löste er die Arretierung seines Sessels und lehnte sich in den Gurten vor, drehte die kugelgelagerte Konstruktion um neunzig Grad. Aus einem Wandbrett, einem viereckigen Einbau mit zahlreichen Magneten, nahm der Mann eine Tasse, einen durchsichtigen Hohlzylinder mit einer Deckplatte.
»Das Problem ist«, sagte Ion halblaut zu sich selbst und lauschte den Worten nach, die ohne Echo verhallten, »daß ich davon überzeugt bin, wir sind alle zu wenig fehlerlos, um Anspruch darauf erheben zu können, Vollwertiges im Sinn der Evolution darzustellen.«
In dem Deckel des Zylinders entstand, als Ion ihn drehte, ein schmaler Spalt; ein Kreissegment. Aus einer der zahlreichen grellfarbigen Tuben, die an den Magneten des Vorratsschrankes hafteten, preßte Ion etwa fünf Zentimeter Mokkaextrakt in pastöser Form in die Tasse. Hochevaporierte, mit Staubzucker stark angereicherte Milch drückte er aus einer zweiten Tube. Ion schloß dann den Deckel der Tasse und die Tubenverschlüsse und koppelte einen dünnen Trinkschlauch an die Dampfleitung an. Das andere Ende steckte in dem Hohlgefäß.
Ion grinste, griff unter den Sitz, hob einen Schraubenschlüssel aus dem Magnethalter und schlug zweimal kurz gegen den wuchtigen Plastikhahn des Dampfventils. Dann drehte er den Hahn auf – sonst ließ er sich nicht bewegen.
»Angenommen, irgendwo im Kosmos gibt es solch vollkommene Wesen. Wie sie aussehen, ist gleichgültig – aber sie sind vollkommen. Sie beherrschen die letzten Geheimnisse der Technik und der Informationsmittel, aber sie werden sich, im Gegensatz zu uns, verändert haben. In welche Richtung?«
Hochgespannter Dampf schoß in einer Fontäne in den Zylinder, kondensierte augenblicklich und verwandelte die Stränge in eine dunkelbraune Flüssigkeit, in der sich milchige Schleier bewegten. Dann veränderte
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