Die Maenner vom Meer - Roman
Stein auf und gab ihn Björn. »Du kommst mit mir. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, wirfst du den Stein ins Wasser.«
Auf allen vieren krochen sie hintereinander über die Landzunge. Das scharfe Seegras schlitzte Björn die Haut auf; an seinen Händen und Knien klebte blutiger Sand. Styrbjörn bedeutete ihm zurückzubleiben und robbte sich näher an den Wächter heran. Als er nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, hob er eine Hand. Björn schleuderte den Stein in hohem Bogen über den Mann hinweg; mit einem bauchigen Glucksen schlug er ins Wasser. Der Wächter wandte ruckartig den Kopf und blickte auf das Meer hinaus. Da traf ihn Styrbjörns Schwert am Hals. Der Mann sank langsam zur Seite, doch ehe er den Boden berührte, hatte ihm ein zweiter Hieb den Kopf vom Rumpf getrennt. Dies, erzählt Björn, sei so leise geschehen, daß die anderen Männer nicht davon erwacht seien. Nun aber habe Styrbjörn vorwärtsstürmend einen markerschütternden Schrei ausgestoßen, damit er seinen Ruhm nichtbeflecke. Denn für einen Jomswikinger sei es unehrenhaft, seinen Gegner im Schlaf zu töten. Zwar habe der Schrei sie geweckt, doch bevor die Männer ihrer Verblüffung Herr geworden seien, habe Styrbjörns Schwert sie in einen anderen, ungleich tieferen Schlaf versetzt. Nur einem sei es zu fliehen gelungen, und diesem sei er, Björn Hasenscharte, mit erhobener Axt in den Weg getreten. Der Mann habe sich vor ihm in den Sand geworfen und um sein Leben gebettelt. Unter den Worten, die er hervorstammelte, habe er den Namen Thorgrim Flachnase zu hören vermeint, und dies habe ihn bewogen, sich schützend vor den Mann zu stellen, als Styrbjörn mit bluttriefendem Schwert herbeigeeilt sei.
»Kennst du Thorgrim Flachnase?« fragte Björn den Mann.
»Thorgrim ist unser Häuptling«, antwortete dieser mit bebender Stimme. »Er ist der größte Wikinger zwischen Seeland und Holmgard. Jenes Schiff dort ist eines von den sechzehn, die er besitzt.«
»Was ist? Schlag ihn tot!« rief Styrbjörn. »Glaubst du, er würde lange fackeln, wenn du vor ihm lägst?«
»Wir brauchen ein schnelleres Schiff, Styrbjörn«, entgegnete Björn. »Dort liegt es, und hier ist der Mann, der es zu handhaben weiß.«
Der Jomswikinger kniff ein Auge zu, was er immer tat, wenn er angestrengt nachdachte. Dann sagte er: »Das ist ein guter Einfall, Björn Hasenscharte. Wenn Svens Männer deinen Knorr finden, werden sie annehmen, wir seien hier an Land gegangen. Auf diese Weise können wir uns einen Vorsprung verschaffen.« Nun wandte er sich an den Mann und fragte ihn nach seinem Namen.
»Harald«, antwortete der Mann.
»So heißt schon einer von uns«, sagte Styrbjörn. »Es bringt Unglück, wenn an Bord eines Schiffes zwei denselben Namen tragen. Woher kommst du?«
»Von Gautland«, antwortete der Mann.
»Dann werden wir dich Gaut nennen«, entschied Styrbjörn.
So kam es, daß sie auf einem jener Schiffe weitersegelten, derenbloßer Anblick die Küstenbewohner in Angst und Schrecken versetzte. Thorgrim Flachnase galt unter den Wikingerhäuptlingen als der grausamste. Er war einst Leibwächter des Kaisers von Miklagard gewesen und hatte sich dort vor allem der Aufgabe gewidmet, Verschwörungen aufzudecken, indem er mögliche Widersacher seines Herrn ausgeklügelten Folterungen unterzog. Ähnlich verfuhr er auch mit den Menschen, die ihm auf seinen Raubzügen beiderseits des Meeres in die Hände fielen: Er quälte sie auf eine Weise, daß selbst hartgesottenen Wikingern beim Zuschauen übel wurde. Und dieser Unhold, dachte Björn, sollte seiner Tochter ein Schiff samt Besatzung geschenkt haben?
Eines Tages, als sie allein am Ruder standen, fragte er Gaut, ob er jemals einer jungen Frau namens Vigdis begegnet sei.
»Gesehen habe ich sie nicht, dafür aber um so mehr von ihr gehört«, antwortete der Seeräuber. »Sie muß ungewöhnlich stark sein, sonst wäre es ihr wohl kaum gelungen, Thorgrim das Schlüsselbein zu brechen.«
»Haben sie miteinander gekämpft?«
»Es soll im Bett geschehen sein. Thorgrim war sieben Tage krank, nachdem er sich eine Nacht mit ihr vergnügt hatte. Und danach war er so in sie vernarrt, daß er sie auf seine Beutezüge mitnahm. Vigdis war auch dabei, als Thorgrim Aldeigjuborg überfiel. Sie soll sich wie ein Mann geschlagen und mehr erbeutet haben als jeder andere. Zum Dank, heißt es, habe er ihr eines seiner Schiffe mit einer achtköpfigen Mannschaft geschenkt. Es geht aber auch das Gerücht, daß sie es gestohlen
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