Die Maenner vom Meer - Roman
wieder auch den guten alten Njörd um Hilfe bittest.« Damit wandte er den Kopf zur Seite und schloß die Augen.
Thormod tat verwundert, als Björn ihm Poppos Botschaft überbrachte. »Ich will nicht verhehlen, daß mir eine Reliquie lieber gewesen wäre, denn eine solche nimmt nicht viel Platz weg und verlangt keinen Anteil«, sagte er. »Aber wenn Poppo meint, daß du mir Glück bringen wirst, dann willkommen an Bord, Björn Hasenscharte.«
Als Björn am Morgen der Abreise zum Hafen hinunterging, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten der Häuserzeile und trat in das Sonnenlicht.
»Ich wollte dich noch einmal sehen«, sagte Thordis.
»Gestern abend waren wir so vergnügt miteinander«, sagte er. »Weshalb weinst du jetzt?«
»Ich weine nicht«, entgegnete sie störrisch.
Björn deutete auf die Tropfen, die glitzernd an ihren Wimpern hingen: »Und was ist das?«
Thordis fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ach, das«, sagte sie, »das sind nur Tränen.«
11
ES WAR EIN WINDSTILLER MORGEN; auf dem Wasser lagen flache, langgestreckte Nebelbänke. Als sich das Schiff der Landenge näherte, war die Stadt bereits im Dunst versunken. Von einem kahlen Baum am Ufer strich ein Krähenschwarm ab und umkreiste lautlos das Schiff. Hedin, der Steuermann, beobachtete ihn, bis der Schwarm in der dunklen Wand des Waldes versickert war. Jenseits der Landenge wandte sich das Schiff in weitem Bogen nach Osten; wo sein Kiel das glatte schwarze Wasser durchschnitten hatte, blieb ein rötlich schimmernder Streifen zurück, beiderseits gesäumt von den ringförmigen Spuren der Ruderblätter.
Neben Hedin stand Thormod. In seiner Kleidung unterschied er sich nicht von den anderen Männern, die teils auf den Ruderbänken saßen, teils, an die Reling gekauert, zu schlafen versuchten. Nur der Platz, den er einnahm, zeigte an, daß Thormod der Eigner und Schiffsführer war, denn die Schanze zu betreten, das schmale Deck vor dem Achtersteven, war außer diesem nur dem Steuermann erlaubt.
Hedin war für einen Steuermann bemerkenswert jung. Er selbst gab sein Alter mit dreißig Jahren an, aber keiner glaubte, daß er älter als fünfundzwanzig sei. Auch daß er aus Norwegen stamme, weckte bei manchen Zweifel, denn Hedin war nicht nur klein und schwarzhaarig, sondern unterschied sich von seinen Landsleuten auch dadurch, daß er jedem Zank aus dem Wege ging. Eines jedochwurde bald von niemandem mehr bestritten: daß Hedin Gudmundursson ein guter Steuermann war.
Bei der Auswahl der übrigen Mannschaft schien Thormod vor allem seinem Hang zur Sparsamkeit gefolgt zu sein. Von den erfahrenen Seeleuten, die zur Sommerszeit von weither in die Stadt kamen und für gutes Geld ihre Dienste anboten, befand sich keiner darunter. Dagegen war es zwei stadtbekannten Hafenstrolchen gelungen, sich bei Thormod einzuschmeicheln, indem sie außer Beköstigung nur die Hälfte des üblichen Anteils verlangten. Der eine, Bjarki Fleischsuppe, pflegte haarsträubende Geschichten zu erzählen, die schon deswegen der Glaubwürdigkeit entbehrten, weil er behauptete, sie selbst erlebt zu haben. Der andere war Ketil Nase. Von ihm hieß es, er sei so faul, daß er es seiner Frau überlasse, ihm in seiner ungewöhnlich großen Nase zu bohren. Außer diesen gab es noch einen Mann an Bord, den Björn kannte. Er saß, in einen grauen, fadenscheinigen Mantel gehüllt, auf dem Mitteldeck, die Beine weit von sich gestreckt, den Rücken gegen den Mast gelehnt.
Wenn Vagn ihn wiedererkannt hatte, wußte er es geschickt zu verbergen. Er hatte Björn, als dieser an Bord kam, kurz zugenickt und sich wieder gleichmütig seiner Arbeit zugewandt. Sein Bart war weiß geworden, sein Körper aufgedunsen und schwerfällig. Björn verspürte einen Stich in der Brust, als er den schlafenden Vagn ansah. War es der Haß, der sich damit in Erinnerung brachte?
Die Besatzung des Schiffes bestand aus vierzehn Männern unterschiedlichen Alters. Björn zählte acht Ruderer, vier auf jeder Seite. Das Schiff lag tief im Wasser. Was es geladen hatte, wußte niemand außer Thormod; er hatte die Waren in abgedichteten Fässern oder in Häute eingenäht an Bord schaffen lassen.
An der Backbordseite tauchte die Burg auf, in der Björn einst gefangengehalten worden war. Einige Männer zeigten sich oberhalb des Palisadenzauns und schlugen ihre Schilde gegeneinander. Das Geräusch ließ Vagn aufhorchen. Er erhob sich schlaftrunken, hielt sich taumelnd am Mast fest und brüllte
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