Die Maenner vom Meer - Roman
unverständliche Worte zurBurg hinauf. Die Männer antworteten mit mehrstimmigem Johlen. Vagn grinste. Und nun fiel sein Blick auf Björn. Langsam wich das Lächeln von seinem Gesicht, und seine Augen wurden schmal.
»Träume ich, oder bist du's wirklich, Hasenscharte?« fragte er.
»Du träumst nicht«, antwortete Björn und hielt seinem Blick stand, bis Vagn sich abwandte.
Die Fahrrinne verlief ein Stück am Fuß des Steilhangs entlang und schlängelte sich dann zwischen Untiefen zur Mitte der Förde hin. Björn sah die Stelle, wo er die Leiche des jungen Mädchens gefunden hatte, er erinnerte sich ihrer weißen Zähne, ihres im Tod erstarrten Lächelns. Nun schob sich der große Stein in sein Blickfeld, bei dem Bosi einst mit seiner Familie an Land gegangen war; ganz in der Nähe der Platz, von dem aus Björn, im Schilf verborgen, die fremden Schiffe beobachtet hatte. Vom Ufersaum bis zur halben Höhe des Hügels war ein Streifen Waldes gerodet worden; zwischen den von Gras überwucherten Baumstümpfen wuchs spärlicher Roggen. Oberhalb des Feldes, hinter den mächtigen, in rotes Sonnenlicht getauchten Buchen, mußte Bosis Hof liegen.
Wenig später rückten die Ufer so nahe zusammen, daß zwischen den Schilfgürteln nur ein schmaler Durchlaß blieb. Thormod weckte die schlafenden Männer und befahl ihnen, ihre Speere auf alles zu werfen, was sich im Dickicht bewege. Der Verlust eines Speeres, fügte er hinzu, sei leichter zu verschmerzen als der eines Schiffes samt Ladung. Die Männer verteilten sich, ihre Speere wurfbereit in den Händen, ringsum an der Reling und spähten in das Waldesdunkel.
»Das gilt auch für dich, Glücksbringer«, sagte Thormod und reichte Björn einen Speer, der um etliches länger war als er selbst.
»An der Eisenspitze erkennst du, wo vorn ist«, murmelte Vagn in seinen Bart. Björn sah seinen mit grauem Haarfilz bedeckten Nacken, sah, wie Vagns Schultern von lautlosem Lachen zuckten, und auf einmal wußte er, daß er Vagn töten würde.
Als sie wieder in freies Gewässer gelangt waren, wurden die Rudererausgewechselt. Auch Björn mußte auf einer der Ruderbänke Platz nehmen. Er lernte schnell, den schweren Riemen zu handhaben und seine Kraft gleichmäßig auf Oberkörper und Arme zu verteilen. Dennoch begann er, vor Anstrengung zu schwitzen. Die Landschaft glitt vorbei, ohne daß er etwas von ihr wahrnahm; er sah nur seine um den Riemen gespannten Hände und den Rücken des Vordermannes. Er kam aus dem Takt, versuchte aufzuholen, aber schon schlug sein Riemen mit dem seines Vordermannes zusammen, kurz darauf auch mit dem des hinter ihm sitzenden Ruderers, und beide Male versetzte es Björn einen Ruck, der ihm die Arme aus den Gelenken zu reißen drohte. Eine Flut von Schimpfworten ergoß sich über ihn, sein Hintermann trat ihm in den Rücken, Björn ruderte verbissen weiter, der Schweiß rann über sein Gesicht, er spürte, wie sich, von seinen Händen her, ein Gefühl der Leere in ihm ausbreitete, wie es von seinen Armen auf den übrigen Körper übergriff, in seinen Kopf vordrang, alles auslöschte bis auf den Willen, der ihn rudern, den Rudertakt einhalten hieß.
Nach einer Zeitspanne, die ihm unermeßlich lang erschien, entriß man ihm den Riemen und stieß ihn von der Ruderbank. Er ließ sich auf das Deck fallen und schlief sogleich ein. Er träumte von mannshohen Kämmen, die sich in langbeinige, krabbenähnliche Ungetüme verwandelten, sah sich von ihnen umzingelt, wollte fliehen, aber seine Beine versagten ihm den Dienst. Thormods barsche Stimme schreckte ihn aus dem Schlaf.
»Geh an Land und sammle Holz, Björn Hasenscharte«, sagte der Schiffsführer. »Wir wollen etwas essen.«
Björn stand auf und schleppte sich mit zitternden Knien zur Reling. Undeutlich, als ob er durch trübes Glas blicke, nahm er wahr, daß das Schiff inmitten flachgewellter Sandbänke vor Anker lag. Er ließ sich ins Wasser gleiten und watete an Land. Dort hatten einige Männer schon einen Kessel an drei Stangen aufgehängt und ein Feuer unter ihm entfacht.
»Beeil dich, Faulpelz, sonst geht uns das Feuer aus!« sagte Ketil Nase, der es sich neben der Feuerstelle bequem gemacht hatte.
»Am Strand liegt genug Holz herum«, sagte ein anderer, den sie Gunne Seehundsfloh nannten.
Björn stapfte durch den weichen Sand, fand unterwegs ein Nest mit Möweneiern, die er in aller Eile ausschlürfte, und stieg auf einen kleinen Hügel. Von dort sah er zum ersten Mal das Meer; kein Windhauch rauhte
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