Die Maenner vom Meer - Roman
den Meeresgott gnädig zu stimmen: Als das Schiff um die Mittagszeit des folgenden Tages die Nordspitze Jütlands rundete, zeigte allein die dunkelblaue Farbe des Wassers an, daß sie in die Westsee gelangt waren. Das für seine Wildheit berüchtigte Meer glitzerte glatt und friedlich in der Sonne. Ein schwacher, aber stetiger Wind trieb das Schiff nach Norden; die Sanddünen der Landzunge versanken hinter der Kimm. Nun befanden sie sich auf dem offenen Meer.
Das gleichmäßige Dahingleiten, das eintönige Rauschen des Wassers an der Bordwand, das träge Knarren der Takelage machten die Männer schläfrig. Sie dösten blicklos vor sich hin und wiegten ihre Körper in den sanften Bewegungen des Schiffes. Nur Hedin ließ keine Müdigkeit erkennen. Der unerwartete Empfang, den ihnen die Westsee bereitete, schien den Steuermann mit Mißtrauen zu erfüllen; unablässig suchten seine Augen den Horizont ab, folgten dem Flug der Seevögel oder wandten sich seinem eigenen Schatten zu, der kurz und gedrungen vor ihm auf dem Schanzdeck lag.
Als der Sonnenball westwärts ins Meer tauchte, kam voraus ein flacher, grauer, eine Daumenbreite über dem Wasserspiegel schwebender Streifen in Sicht. Die Männer, durch den Ruf des Stevenmannes aufgeschreckt, stritten darüber, ob es Land oder eine Nebelbank sei. Sie baten Hedin um seine Meinung; dieser gab die Frage stumm an Thormod weiter, denn nur dem Schiffsführer stand es zu, der Mannschaft Auskünfte zu erteilen.
»Es ist die Küste von Norwegen«, beschied Thormod die Fragenden. »Wenn Njörd uns weiterhin wohlgesinnt ist, wird sie unserer Reise von nun an für viele Wochen die Richtung geben.«
Nachdem er eine Weile mit Hedin beratschlagt hatte, gab Thormod der Mannschaft seinen Entschluß bekannt, die Nacht auf dem Meer zu verbringen, statt durch die Suche nach einem geeigneten Ankerplatz Zeit zu verlieren. Dies fand nicht bei allen Zustimmung,denn es bedeutete, daß sie sich mit kalter Verpflegung begnügen mußten, die vorwiegend aus Sauermilch, Stockfisch und verschimmeltem Fladenbrot bestand.
Die Nacht war sternenklar und beinahe windstill. Riesige Möwen umstrichen lautlos und schattenhaft das Schiff. Als die Männer in der Morgendämmerung aus den taubenetzten Fellsäcken krochen, sahen sie, daß das Schiff jetzt nach Westen segelte und auf ein schroff zum Meer hin abfallendes Kap zuhielt. Die Küste war felsig und zerklüftet; weiter im Landesinneren traten die Umrisse wellenförmiger Hügelketten aus dem Dunst hervor.
Kurz nach Sonnenaufgang hatte Björn Hemmo den Kurzen als Stevenmann abgelöst. So kam es, daß er als erster das Schiff sichtete, das lang und schmal hinter einem Felsen hervorschoß. Einen Augenblick lähmte ihm der Schreck die Zunge; er brachte nur ein Stammeln über die Lippen, dem unvermittelt ein schriller Ton folgte. Nun sah auch Hedin das fremde Schiff; er riß das Ruder herum und steuerte auf das Meer hinaus. Aber der schwerfällige Knorr hatte kaum beigedreht, als das mit zwanzig Ruderern bemannte Langschiff schon auf gleicher Höhe war. Auf der Back stand ein vierschrötiger Mann; er trug einen zottigen Pelz, der seine Arme freiließ, und als sich der Abstand zwischen den Schiffen weiter verringerte, konnte Björn erkennen, daß nicht nur seine Arme von den Fingerspitzen bis zu den Schultern, sondern auch sein Gesicht tätowiert waren.
Der Anblick des Mannes ließ Hedin erbleichen. »Das ist Thorgeir Bryntroll«, flüsterte er Thormod zu.
»Du kennst ihn?« fragte Thormod leise.
»Mein Vater und er sind früher gemeinsam auf Wiking gegangen«, antwortete der Steuermann. »Daher weiß ich, daß Thorgeir ebenso grausam wie unberechenbar ist.«
»Das erstere könnte uns nützlich sein«, sagte Thormod. »Vielleicht freut es ihn, dem Sohn seines einstigen Schiffsgenossen zu begegnen.« Er ließ das Segel streichen und wies die Mannschaft an, ihre Waffen griffbereit hinter das Schanzkleid zu legen.
Die Schiffe dümpelten jetzt, beide mit meerwärts gewandtem Bug, nur noch einige Riemenlängen voneinander entfernt in der schwachen Dünung. Der Wikinger hob die Waffe, die ihm seinen Beinamen verliehen hatte: eine zweischneidige Streitaxt, deren oberes Ende mit einer Eisenspitze versehen war. Dann fragte er nach dem Namen des Schiffsführers, nach der Ladung des Schiffes und dem Ziel der Reise. Als Thormod dies alles beantwortet hatte, wobei er allerdings die mitgeführten Waren als wertlosen, für die Wilden im Nordland bestimmten Plunder
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