Die Maenner vom Meer - Roman
daß sie ihren Augen zunächst nicht trauen wollten, als unversehens ein Hof vor ihnen lag. Er war von einer Steinmauer umgeben und bestand aus mehreren niedrigen Gebäuden, deren grasbewachsene Dächer fast den Erdboden berührten. Aus einem der Häuser stieg Rauch empor, aber es waren weder Menschen noch Vieh zu sehen.
Thormod gab Befehl, den Anker auszuwerfen, und ließ das Schiff so nahe ans Ufer treiben, bis sein Kiel über felsigen Boden schrammte.
Hedin riet zur Vorsicht. Daß sich niemand zeige, sei kein gutes Zeichen; er vermute, daß sie von den Hofbewohnern längst bemerkt worden seien und diese sich in Verteidigungsbereitschaft gesetzt hätten. Aber Thormod meinte, auch ein Bauer könne unschwer einen Knorr von einem Langschiff unterscheiden, und nach seiner Erfahrung seien Händler in dieser Einöde stets willkommen.Dann sagte er zu Björn: »Du kommst mit mir, Glücksbringer«, und watete an Land.
Auf dem Hof rührte sich nichts. Als sie an die Steinmauer gelangten, begann ein Hund zu bellen, verstummte jedoch nach kurzem Aufheulen, als sei er durch einen Tritt zum Schweigen gebracht worden.
Thormod rief seinen Namen zu dem Haus hinüber, aus dem Rauch durch ein Loch im Dachfirst hervorquoll. Er und seine Leute kämen in friedlicher Absicht, und er habe Waren an Bord, die es sich anzuschauen lohne.
In die Stille, die nun eintrat, mischte sich ein schwirrendes Geräusch. Björn warf sich auf Thormod und riß ihn zur Seite. Wo Thormod eben noch gestanden hatte, steckte ein Pfeil mit zitterndem Schaft im Erdreich.
»Du hast eine grobe Art, mir Glück zu bringen, Björn Hasenscharte«, stöhnte Thormod, während er hinter dem Steinwall Schutz suchte.
»Der Pfeil muß von dort oben gekommen sein«, sagte Björn und deutete zum Berghang empor, wo man die grobgefügten Mauern eines Schafstalls erkennen konnte.
Mit lauter Stimme beteuerte Thormod erneut, daß er nichts anderes im Sinn habe, als den Hofleuten seine Waren zu zeigen und ihnen, falls sie dafür Verwendung hätten, das eine oder andere zu verkaufen.
Nun öffnete sich die Tür des Wohnhauses, und eine alte Frau trat daraus hervor. Sie war groß und breitschultrig wie ein Mann; in der einen Hand hielt sie eine Axt, mit der anderen machte sie eine Einhalt gebietende Gebärde zum Schafstall empor. Hinter ihr zeigte sich eine weitere Frau in der Tür, auch sie war von kräftigem Körperbau, aber jünger; diese trug einen Speer.
»Wir brauchen nichts«, sagte die alte Frau. »Laßt uns in Ruhe und fahrt weiter.«
»Ist es bei euch Sitte, daß die Hausfrau das Wort führt?« fragte Thormod. »Sag deinem Mann, daß ich mit ihm sprechen will.«
»Hier ist keiner, der mit dir reden will«, antwortete die Frau und verschwand im Haus. Sie hörten, wie die Tür von innen verriegelt wurde.
»Da wohnen arme Leute, Thormod«, sagte Hedin, als sie zum Schiff zurückkehrten. »Was willst du denen verkaufen?«
»Wenn es so wäre: Weshalb treten uns dann sogar die Frauen bewaffnet entgegen?« erwiderte der Schiffsführer. »Wer nichts besitzt, hat auch nichts zu beschützen.«
»Dafür gibt es eine einfache Erklärung«, mischte sich Tosti Einauge in das Gespräch ein: »Sie beschützen sich selbst, denn in dem Haus dort befinden sich nur Frauen.« Er schnupperte in den Wind, der vom Berghang herniederstrich: »Auch der Bogenschütze ist eine Frau.«
»Da Tosti sich bislang noch nicht geirrt hat, wird er auch diesmal recht haben«, sagte Hedin. Nun erzählte er, daß die meisten Bauern dieser Gegend im Sommer auf Wiking gingen, weil der Boden zu karg sei, ihnen ausreichend Nahrung zu geben; oft blieben nur die Frauen und Kinder auf den Höfen zurück. »Aber«, schloß er warnend, »man sagt von ihnen, daß sie sich gut zu wehren wissen.«
In Thormods Augen trat ein fiebriges Glitzern. Er rief Hemmo den Kurzen zu sich, zeigte ihm den Schafstall und sagte: »Dort oben ist eine, die von dir umarmt werden möchte. Aber mach es leise.« Hemmo entblößte grinsend seinen zahnlosen Kiefer und kletterte im Geröll eines Bachbetts am Berghang empor. Nach einer Weile kehrte er mit einem Bogen und einem Köcher zurück, in dem ein Pfeil fehlte. »Zu Mittag hat es Lammfleisch gegeben«, sagte er, indem er auf seinen rechten Unterarm deutete, an dessen Haarfilz die Reste von Erbrochenem klebten.
»Laß es damit genug sein«, bat Hedin den Schiffsführer. »Wenn wir vor dem Winter aus dem Nordland zurückkehren wollen, dürfen wir keine Zeit vergeuden.«
»Bisher
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