Die Männer von Bravo Two Zero
hatten, aber ich konnte nicht sagen, ob das Geschrei Ausdruck ihrer Siegesfreude war oder Zeichen dafür, daß mir noch Schlimmeres
bevorstand. Während wir über das Feld schlingerten, versuchte ich, die Truppen anhand ihrer Uniformen zu erkennen. Sie trugen britische Tarnanzüge mit
Patronengurten für fünf Magazine und hohe
Schnürstiefel. Schulterklappen und die rote Kordel um den Hals wiesen sie als Elitetruppe aus. Erst einige Zeit später erfuhr ich, daß diese Kordel an eine siegreich bestandene Schlacht im Zweiten Weltkrieg erinnern
sollte, in der sie unter Montgomerys Befehl gekämpft hatten und auf die sie offenbar sehr stolz waren.
Wir stießen auf eine Schotterstraße, und das Rütteln hörte auf. Zu diesem Zeitpunkt machte ich mir keine 263
großen Gedanken, wohin wir fuhren – ich wollte bloß endlich ankommen, damit die Soldaten aufhörten, mich mit ihren Stiefeln zu traktieren. Sie redeten schnell und aggressiv auf mich ein.
Der Wagen hielt. Wir waren offenbar in der Stadt. Um uns herum wogender Lärm. Ich hörte Stimmen, viele
Stimmen, und am Tonfall konnte ich erkennen, daß es sich um einen wütenden Mob handelte. Haß hat überall auf der Welt den gleichen schlimmen Klang. Ich blickte auf. Ich sah ein Meer von Gesichtern, Soldaten und Zivilisten, wütende, skandierende und schimpfende. Ich fühlte mich wie ein Kind im Kinderwagen, das in eine Gruppe von Erwachsenen hineinstarrt. Ich bekam Angst.
Diese Menschen haßten mich.
Ein alter Mann würgte tief aus seiner Lunge Auswurf hoch und spuckte mir grünen Schleim ins Gesicht.
Weitere Salven folgten, klebrig und schnell. Dann wurde man handgreiflich. Zunächst stieß man mir leicht in die Rippen, wie man zum Test in frische Ware piekst. Aus dem leichten Pieksen wurde ein Schubser, dann ein Stoß, dann ein Schlag, und schließlich zerrte mich die Menge an den Haaren. Ich dachte, sie würden mich lynchen oder schlimmer.
Die ersten wollten in den Wagen klettern. Sie waren außer sich vor Wut. Vielleicht war es das erste Mal, daß sie einen europäischen Soldaten sahen. Vielleicht
machten sie mich persönlich für ihre toten und
verwundeten Freunde und Angehörigen verantwortlich.
Sie rückten mir zu Leibe und traktierten mich mit
Schlägen und Fausthieben, zogen mir an Schnurrbart und 264
Haaren. Es roch nach Schweiß und Schmutz. Es drang kein Tageslicht mehr herein, und ich glaubte, ich würde ersticken.
Ständig wurde in die Luft gefeuert, und ich fürchtete, über kurz oder lang würde es sie anöden, nur die Wolken als Zielscheiben zu benutzen. Mir kam der überflüssige Gedanke, daß sie Verluste unter der Zivilbevölkerung haben mußten, wenn sie in bewohnten Gebieten derart rumballerten. Die Kugeln haben zwar keine Sprengkraft mehr, wenn sie wieder runter kommen, doch auch dann sind sie noch höchst gefährlich. Zweifellos würden sie mir auch die Schuld für diese Toten geben.
Was hatten die Soldaten vor, fragte ich mich – wollten sie mich einfach dem Mob ausliefern? Tötet mich jetzt, dachte ich. Mir wäre es lieber, die Soldaten täten es als der Pöbel. Die Soldaten fingen an, die Menschen
zurückzudrängen. Ein wunderbares Gefühl. Noch kurz zuvor hatten diese Burschen mich geschlagen, und jetzt waren sie meine Retter. Ja, der Teufel und der Beelzebub
…
Ich lag auf dem Bauch hinten im Auto, die Hände noch immer gefesselt, und sie zogen mich jetzt mit den Füßen voran heraus. Ich bemühte mich angestrengt, tieftraurig und schwer verletzt zu wirken, und überlegte krampfhaft, wie ich mein Gesicht schützen sollte, wenn ich gut einen halben Meter tief auf den Asphalt fallen würde. Ich mußte mich drehen, um mit dem Rücken aufzukommen,
dann konnte ich den Kopf hochhalten. Ich schaffte es gerade rechtzeitig. Ich hob den Kopf an, und mein Kreuz fing die Wucht des Aufpralls auf, der wie eine
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Schmerzbombe in meinem Kopf detonierte. Es raubte mir den Atem. Die Soldaten führten sich wie echte Machos auf; sie winkten den Leuten zu und hielten ihre Gewehre in die Luft wie Che Guevara. Sie wirken so pubertär, dachte ich, während sie sich vor den jungen Frauen produzierten. Sie waren die Halbstarken des Ortes und würden heute nacht sicherlich die eine oder andere Eroberung machen.
Der Wagen hatte etwa 15 Meter vor einem großen
Flügeltor gehalten, das in eine drei Meter hohen Mauer eingelassen war. Meinem Eindruck nach befanden wir uns vor dem Militärstützpunkt der Stadt. Ich wurde auf dem Rücken zum Tor
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