Die Maetresse des Kaisers
emporgestiegen.
Der Medicus zweifelte, ob die Geisteskraft des Burschen ausreichen würde, Anzeichen einer drohenden Krise beim Grafen zu erkennen, aber er hatte keine andere Wahl. Er würde in aller Eile die Kräuter sammeln, eine Arznei bereiten und hoffen, dass die Kräfte des Grafen ausreichten, die nächsten Tage zu überstehen.
Einen Moment überschlug er die Möglichkeit, die Burg heimlich zu verlassen, verwarf den Gedanken jedoch auf der Stelle. Nicht aus Pflichtgefühl gegenüber seinem Patienten – ein Ritter mehr oder weniger auf dieser Welt bedeutete ihm nichts – als vielmehr aus Sorge, dass die Flucht ein noch größeres Risiko für sein eigenes Leben berge als die Pflege des Grafen von Tuszien.
»Er muss gesund werden«, murmelte der Medicus und schlug den Weg zum Kräutergarten ein. »Verdammt will ich sein, wenn ich diesen Mann nicht heile.«
M anfreds Zorn brauchte dringend ein Ventil, und unbeherrscht trat er gegen den Schrank in Biancas Kammer. Obwohl aus solidem Zedernholz, hielt dieser der brutalen Kraft nicht stand, und die Schranktür zerbarst.
Seit Stunden ließ Manfred seine Schwester in den entlegensten Teilen der Burg suchen – ohne Erfolg. Bianca war und blieb verschwunden, und auch ihre Amme Giovanna schien unauffindbar.
»Verfluchtes Weibsstück«, brüllte er und schmetterte den Wasserkrug aus Ton auf den Steinboden.
Seit man Enzio schwerverletzt im Burggraben gefunden hatte, war kein einziges Wort über die Lippen des Grafen von Tuszien gekommen. Immer wieder driftete Enzio in tiefe Bewusstlosigkeit, und es war unmöglich, ihn über die Geschehnisse der Nacht zu befragen. Aber dass seine Schwester an Enzios Zustand nicht unschuldig war, dessen war sich Manfred sicher.
»Ich glaube nicht, dass wir Eure Schwester hier in der Burg finden«, sagte eine Stimme hinter ihm, und Manfred fuhr ungehalten über die Störung herum.
»Wo soll sie denn sonst sein?«, entgegnete er, um ein Minimum an Höflichkeit bemüht.
Der Mann, der in der Tür zu Biancas Kammer stand, gehörte zu den engsten Vertrauten des Grafen von Tuszien. Er war der Gegenpol zu Enzios aufbrausendem Temperament – kalt und beherrscht, scheinbar ohne jedes Gefühl. Er war groß und extrem hager, schien aber trotzdem voller Kraft. Er sprach leise und mit starkem Akzent und betrachtete seine Mitmenschen gewöhnlich mit einem herablassenden Blick. Der Mann wirkte gefährlich – und er war es auch.
Nach Enzios Ausschweifungen war er stets derjenige, der dafür sorgte, dass die Zeugen stumm blieben. In der Regel reichten dafür ein paar Lebensmittel als Blutgeld, in seltenen Fällen zahlte er auch mit einer Münze. Wer dennoch auf seinem Recht bestand, begab sich in Lebensgefahr, denn weder Enzio noch sein Vollstrecker hatten Skrupel, widerspenstige Zeugen für alle Zeit zum Schweigen zu bringen.
Manfreds Blick war auf den Mann gerichtet, dessen kalte Augen empfindsamen Menschen Schauer über den Rücken jagten. Es fiel ihm wieder ein, dass seine Schwester ihn mehr noch als Enzio fürchtete. Sein Name war Heinrich von Passau, ein deutscher Ritter, der als Söldner mit dem in den Kampf zog, der am meisten zahlte. Offensichtlich war Enzio überaus großzügig, denn der Deutsche gehörte schon eine Weile zu seinem Gefolge.
»Tja, wo könnte sie sein, Eure schöne Schwester?«, überlegte der Ritter laut und verzog seine schmalen Lippen zu einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte.
»Ich weiß es nicht«, knurrte Manfred. »Ihre alte Amme ist auch verschwunden.«
»Die sanftmütige Bianca«, sinnierte Heinrich, warf einen Blick in den lädierten Kleiderschrank und strich mit den Fingern leicht über die kostbare Seide von Biancas Lieblingskleid. »Es geht doch nichts über eine Frau, die kämpfen kann. Vor allem, wenn sie am Ende verliert.«
»Was soll das heißen?«
»Dass ich Eure Schwester finden werde, und dann gehört sie mir. Zunächst jedenfalls. Später könnt Ihr sie dann haben.«
Manfred sah den Deutschen missmutig an.
»Übrigens, wisst Ihr schon, wie Ihr die tapfere Bianca bestrafen werdet?«
»Wenn sich herausstellt, dass meine Schwester versucht hat den Grafen von Tuszien umzubringen, dann wird ihr der Prozess gemacht werden. Den Ausgang kann ich nicht vorhersagen.« Manfred drehte sich von Heinrich weg und sah sich suchend im Zimmer um. »Ich frage mich, wie der Graf zu seiner Stichwunde gekommen ist.«
»Vielleicht hat Eure wehrhafte Schwester ein Messer? Oder die Amme hat Enzio
Weitere Kostenlose Bücher