Die Maetresse des Kaisers
an, und Bianca war überrascht, dass er die lateinische Sprache beherrschte.
Sie erhob sich aus ihrer kauernden Position, blieb aber zur Sicherheit auf den Knien. Bevor sie gegen die Etikette eines ihr kulturell fremden Hofes verstieß, zeigte sie besser zu viel Demut als zu wenig.
»Steh auf«, befahl ihr der Sultan.
Bianca richtete sich auf, und da al-Kamil zwar von kräftiger Statur, aber nicht sehr hochgewachsen war, konnte sie ihm in die Augen sehen, ohne den Kopf in den Nacken zu legen.
»Herr, gebt mit bitte die Gelegenheit, mein zweifellos seltsames Verhalten zu erklären.«
Der Sultan schaute sie wortlos an. Bianca fasste sich ein Herz und entschied sich für die Wahrheit.
»Ich konnte nicht schlafen und ging in den Garten, um den Himmel und die Sterne zu sehen. In meinem Land feiert man heute die Geburt des Heilands.«
»So bist du Christin«, sagte der Sultan.
Bianca nickte und blickte zu Boden.
Al-Kamil streckte seine Hand aus und hob ihr Kinn, damit sie ihre Augen nicht verbergen konnte.
»Wie heißt du? Und woher stammst du?«
»Mein Name ist Bianca, und meine Heimat nennt sich Piemont.«
»Du hast außergewöhnliches Haar, Bianca.«
»Viele Frauen im Norden sind blond.«
»Was tust du in Ägypten?«
Bianca schwieg.
»Warum antwortest du nicht? Wenn du damit andeuten willst, dass meine Frage töricht ist, weil du schließlich nicht freiwillig hier bist, so bewundere ich deinen Wagemut, aber verurteile deine Dreistigkeit.«
Bianca erschrak. »Nein, nein«, stammelte sie.
»Schweig und unterbrich mich nicht. Ich sehe selbst, dass du eine Haremssklavin in meinem Palast bist, also formuliere ich meine Frage anders: Wie bist du hierhergekommen?«
»Ich wurde verkauft.«
»So, so. Und wo, wenn ich auch das fragen darf?«
»Auf Zypern.«
Der Sultan grübelte einen Moment. »Du sprichst gewählt. Hat man dich Lesen und Schreiben gelehrt?«
Bianca war sich nicht klar, worauf der Sultan hinauswollte, hielt es aber für klüger, bei der Wahrheit zu bleiben und diesmal nicht die Frau des Tuchmachers zu spielen.
»Ja, Herr«, antwortete sie deshalb.
»Du stammst also aus einer vornehmen Familie. Gut, genug für heute. Geh jetzt schlafen.«
Bianca starrte den Sultan fassungslos an. »Ihr bestraft mich nicht?«
»Warum? Weil eine schöne Frau nicht schlafen konnte? Hältst du uns Muslime für gefühllos?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Bianca verwirrt. »Hier ist alles fremd für mich.«
»Zamira wird dich im Arabischen unterweisen. Ich bin sicher, du lernst schnell.«
»Zamira? Aber ich bin eine Sklavin.«
»Du hast Einwände gegen die Befehle deines Sultans?« Bianca schüttelte den Kopf, und der Sultan lächelte. »Ich verstehe, die Sanftmut ist nicht deine Stärke.«
Mit diesen Worten drehte er sich um, wandte sich der wartenden Zamira zu und flüsterte ihr etwas zu.
Bianca verbeugte sich, als die beiden weitergingen, und zog sich dann in die Kammer der Sklavinnen zurück. Auf ihrem Lager schloss sie die Augen, doch die Begegnung hatte sie zu sehr aufgewühlt, um jetzt noch Schlaf zu finden. Und auch als die Sonne aufging, hatte sie keines der Worte des Sultans vergessen. Genauso wenig wie den eisigen Blick, den Zamira, seine Favoritin, ihr zugeworfen hatte.
W ie in jedem Jahr bot das Elsass im Frühling ein Bild, als würden in dieser Landschaft zwei Jahreszeiten herrschen – in den Niederungen des Rheingrabens blühten bereits die ersten Anemonen, und die Linden, Buchen und Eichen zeigten ihr typisches helles Blattgrün, das erst später, zum Sommer hin, eine dunklere Färbung annahm. Auf den Gipfeln der Vogesen dagegen lag noch Schnee, und je höher man von Straßburg aus kommend ritt, desto kälter wurde es, und nach den Boten des Frühlings hielt man vergeblich Ausschau.
Manfred Lancia hatte in Straßburg übernachtet, die immer mächtiger in den Himmel wachsende Kathedrale bewundert, an der seit fast zweihundert Jahren gebaut wurde, und war auf dem Weg nach Haguenau, einer riesigen Burganlage, in der sich König Heinrich besonders gern aufhielt.
Dessen Urgroßvater, Kaiser Barbarossa, hatte die Burg zur kaiserlichen Pfalz erhoben und in den folgenden Jahren immer noch prächtiger ausbauen lassen. Sie lag auf einer Insel im Fluss Moder, war von einer Mauer umgeben und mit über fünfzig Wehrtürmen geschützt. Früher hatte sie den Grafen von Egisheim gehört, doch seit Kaiser Barbarossa seine Begeisterung für das Elsass entdeckt hatte, war Haguenau der kulturelle und
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