Die Maetresse des Kaisers
politische Mittelpunkt dieser Region. Manfred entsann sich, dass sein eigener Großvater, der »trovatore«, dem Kaiser Barbarossa seine Lieder und Gedichte vorgetragen hatte, und fragte sich, ob besagter Großvater über denselben Alpenpass gezogen war wie er oder ob er Barbarossa getroffen hatte, als dieser sich auf dem Weg ins Heilige Land befand.
Wie Kaiser Barbarossa liebte auch König Heinrich, zwar erst siebzehn Jahre alt, die dichten, wildreichen Wälder dieser Gegend und wusste die Annehmlichkeiten der Festung zu schätzen, die wesentliche Vorteile gegenüber anderen Burgen aufzuweisen hatte. Die Räume waren groß, hell und im Winter gut zu heizen. Dank ihrer Lage galt die Festung als uneinnehmbar, und als ihr Burgherr musste sich Heinrich daher nicht unablässig den Kopf zerbrechen, wie er Haguenau am besten absicherte.
Das Land rund um die Burg war fruchtbar und brachte Bauern, Lehnsherren, aber auch den königlichen Getreidespeichern immer genügend Vorräte ein, um, ohne zu hungern, durch die kalte Jahreszeit zu kommen. Und das nahezu unendliche Waldgebiet, in dem schon Heinrichs Vorfahren ihrer Jagdleidenschaft nachgegangen waren, sorgte für Fleisch im Überfluss. Der »Heilige Forst« wurde der Wald seit Urzeiten genannt, und er schloss sich wie ein riesiger Halbkreis um Stadt und Festung Haguenau.
Seit seiner Überquerung der Alpen im Winter, bei der ihm zwei Zehen am linken Fuß erfroren waren, war Manfred zielstrebig weiter nach Norden gezogen, hatte Gebiete des Herzogs von Österreich durchquert, war durchs Inntal westlich geritten und vom Bodensee aus dem Lauf des Rheins flussabwärts bis in die Gegend von Straßburg gefolgt. Es waren harte Wochen gewesen, und obwohl die Alpen mit ihren Bergriesen und mannshohen Schneefeldern hinter ihm lagen, hatten ihn Kälte und Eis noch lange begleitet.
Die beiden erfrorenen Zehen hatten amputiert werden müssen, eine Operation, an die er sich mit Schaudern erinnerte. Doch die Wunden waren problemlos geheilt, und auch wenn er beim Gehen das linke Bein nicht ganz so belasten konnte wie das rechte, hatte der grausame Schneesturm am Alpenpass keine weiteren Folgen für seine Gesundheit gehabt.
Manfred hoffte, in einer der großen Pfalzen von König und Kaiser eine Aufgabe zu finden, die seiner Stellung und seinen Fähigkeiten gerecht wurde. Er beabsichtigte, in erster Linie seine Dienste als Ritter anzubieten, war aber auch bereit, andere Tätigkeiten anzunehmen. Die Verwaltung einer Burganlage war ihm vertraut, wenn auch die seiner Vorfahren nicht mit einer so ausgedehnten Anlage wie Haguenau zu vergleichen war.
Aber er wusste sehr wohl, Soll und Haben sowie Einkünfte und Ausgaben gegeneinander aufzurechnen, und angesichts der geringen Reichtümer der Lancias hatte sein finanztechnisches Geschick die Familie wenigstens einigermaßen über Wasser gehalten. Da er jedoch Engpässe vorausgesehen hatte, hatte er versucht durch Biancas Heirat mit Enzio Pucci gegenzusteuern. Aber an diese Geschichte mit ihrem unrühmlichen Ausgang wollte er lieber nicht mehr denken. Besser war es, nach vorn zu sehen und mit aller Kraft einen neuen Anfang zu wagen. Und warum nicht, so sinnierte er, in einer so schönen Gegend wie dem Elsass und einer so angenehmen Stadt wie Haguenau.
Er zweifelte nicht, in den engeren Kreis der Ratgeber des jungen und unerfahrenen Königs vordringen zu können. Heinrich war seit acht Jahren deutscher Herrscher, hatte also seine Regentschaft im Alter von nur neun Jahren angetreten. Sein Vater, Kaiser Friedrich, hatte es stets für wichtiger gehalten, sich um die Belange des Königreichs Sizilien zu kümmern, und Heinrich schon früh in die Obhut kirchlicher und weltlicher Männer gegeben, die ihn erziehen und auf seine Rolle als König vorbereiten sollten.
Nach dem, was Manfred inzwischen über den König gehört hatte, war ihnen das eher schlecht als recht gelungen, denn Heinrich stürzte sich bedenkenlos in militärische Abenteuer und ließ auch in Friedenszeiten Disziplin und vornehme Haltung vermissen. Er war weder ein Mann der Diplomatie, noch zeichnete er sich durch die politische Klugheit seines Vaters Friedrich aus.
Vielleicht, dachte Manfred, hat Heinrich einfach zu früh zu viele Pflichten übernehmen müssen und reagiert jetzt wie ein bockiges Pferd, das ausschlägt, wenn sich der Reiter mit dem Sattel nur nähert.
Von Manfreds Standpunkt aus gesehen war die Situation, in der sich der deutsche König befand, eher von Vorteil.
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