Die Maetresse des Kaisers
schnuppern und die Sterne zu bewundern. Allerdings achteten sie darauf, dass Bianca sich mit keinem Schritt dem Tor näherte, das den inneren Hof vom äußeren trennte. Auch die Verschnittenen waren bewaffnet und trugen an ihrer Seite einen krummen Dolch mit spitzer, scharfer Klinge.
Bianca war nicht so töricht, es auf einen Kampf mit den Wächtern ankommen zu lassen. Und selbst wenn sie durch eine Laune des Schicksals den inneren Hof überwinden sollte, so würden die Wachen des äußeren sie aufhalten, und sollten auch diese ihre Flucht nicht bemerken, wohin sollte sie sich wenden – völlig allein in diesem fremden Land. Nein, es war sicherer, vorerst im Harem zu bleiben. Vorerst, betonte sie stumm.
Sie strich vorsichtig über eine weiße Jasminblüte und überlegte, ob diese duftenden Blüten wohl im Piemont heimisch werden könnten, als sie ein Flüstern vernahm. Das ist die tiefe Stimme eines Mannes, wunderte sie sich und schlüpfte über das niedrige Geländer hinter den dichten Jasminbusch. Sie war sicher, diese Stimme noch nie gehört zu haben. Auf keinen Fall handelte es sich um einen der Verschnittenen, die alle mit einer unnatürlichen Fistelstimme sprachen.
War es einer der Wächter des äußeren Hofes? Nein, entschied sie, es würde seinen sicheren Tod bedeuten, die inneren Räume der Frauen oder auch nur den Garten zu betreten. Keine der Wachen würde das wagen.
Der Mann flüsterte mit einer Frau, und deren Stimme wiederum erkannte sie – Zamira, die Favoritin des Sultans, schönste und ehrgeizigste Frau des Harems. Bianca hatte Zamira bislang nur von ferne gesehen. Die Favoritin wurde von ihren eigenen Sklavinnen umsorgt. Und als neuester Zugang im Harem des Sultans stand Bianca in der Palasthierarchie ohnehin auf der alleruntersten Stufe.
Bianca erschrak. Das, was sie erkennen konnte, klang wie das Geflüster eines verliebten Paares. Sie hörte Küsse, unterdrücktes Stöhnen und das leise Klingeln von Schmuck. Wenn Zamira einen Liebhaber empfing, konnte es sich nur um einen Mann handeln – den Sultan al-Kamil. Und der wiederum würde es einer weißen Sklavin wohl kaum verzeihen, ihn bei Zärtlichkeiten belauscht und beobachtet zu haben.
Vorsichtig sah sie sich nach einem Fluchtweg um, aber welche Richtung sie auch einschlagen würde, ungesehen käme sie nicht an dem Paar vorbei. Also entschied sie, sich tiefer in den Jasminbusch zu ducken, in der Hoffnung, dass die beiden viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um eine Sklavin, die nachts nicht schlafen konnte, zu bemerken.
Sie sah, dass der Sultan Zamira an die Hand nahm und langsam mit ihr durch den Garten schlenderte. Ab und zu blieben die beiden stehen, um – wie alle Verliebten – schnell einen Kuss zu tauschen oder sich kurz zu umarmen. Bianca wunderte sich über die Zartheit, mit der der Sultan seiner Geliebten begegnete. Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals einen christlichen Ritter gesehen zu haben, der die Frau, die er liebte, mit so viel Zuneigung und Respekt behandelte. Und wenn sie an ihre eigenen Erfahrungen mit dem Mann dachte, den sie eigentlich hätte heiraten sollen, dann musste sie sich eingestehen, dass sie Zamira beneidete. Schon zu Hause hatte sie oft von einer Liebe voller Zärtlichkeiten geträumt, doch ihr Bruder hatte bekanntlich anders entschieden. Sie rief sich das Lied von Tristan und Isolde in Erinnerung, vom Ritter, der eine Frau liebte, die er nicht lieben durfte, und dennoch eher sterben wollte, als seine Gefühle zu verleugnen.
Sie seufzte und erkannte einen Moment zu spät, dass sie einen Fehler begangen hatte. Die Instinkte eines Mannes wie al-Kamil waren so geschärft, dass ihm selbst in Momenten der Entspannung nichts entging. Augenblicklich schob er Zamira von sich und drehte sich aufmerksam um.
Zamira schien ihn etwas fragen zu wollen, doch mit einer herrischen Geste befahl er ihr, sich still zu verhalten. Bianca drückte sich, so tief sie konnte, in den Busch, aber unsichtbar wurde sie dadurch nicht. Sie hielt den Atem an und machte sich wegen ihrer unverzeihlichen Dummheit bittere Vorwürfe. Sie hatte wahrhaftig Strafe verdient, wagte aber nicht daran zu denken, was die Regeln des Palastes für einen solchen Verstoß vorsahen.
Bianca hörte ein Rascheln, und einen Herzschlag später sah sie am Boden unmittelbar vor ihrem Knie einen seidenen Schuh. Er war blutrot und mit Ranken bestickt, und in ihm steckte eindeutig ein Männerfuß.
»Was tust du hier?«, fuhr sie der Sultan
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