Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Untersuchungskommission hätten anwesend sein müssen, doch das interessierte Gülich nicht. Jeden der Herren hatte angeblich ein Leiden befallen. Billige Ausreden, mehr steckte nicht dahinter. Der Leprosenhof war ihnen nicht nur gleichgültig, sondern lästig. Also würde er, Gülich, das Verhör eben allein durchführen. Die nötigen Vollmachten hatte er sich geben lassen, und nun hoffte er, dass alles zu seiner Zufriedenheit ablaufen würde.
Er setzte sich hinter das Schreibpult und musterte die Anwesenden mit einem Blick, der sie einen Kopf kleiner machte. Selbst die Krähe von Verwalterin zuckte zusammen. Dabei ließ sie jedoch einen Furz fahren, dessen Gestank Gülich zum Würgen reizte. Er sprang auf und eilte zum Fenster. Rechtzeitig zog der Schreiber den Kopf ein, um nicht von dem Rahmen erschlagen zu werden, den Gülich fast aus den Angeln riss.
Nach ein, zwei tiefen Atemzügen begab Gülich sich zurück an sein Schreibpult. »Ihr habt die Zahlen dabei?«
Elsgen nickte und zog einen Stapel zerfleddertes Papier aus ihrem Beutel.
Gülich versuchte, die verklebten Seiten auseinanderzuzupfen, ohne das Papier zu zerreißen. Es war unfassbar, wie nachlässig das Verwalterehepaar die Bücher führte. Sein Blick huschte über die Zahlen. Mit dem geschulten Auge eines Kaufmanns war es für ihn ein Leichtes, zu erkennen, dass hier Schindluder getrieben wurde. Die Einnahmen waren schludrig aufgelistet, die Ausgaben dagegen auffallend penibel. Den Zahlen gemäß durfte der Leprosenhof überhaupt nicht existieren. »Ich würde sagen, hier bedarf es einer genauen Überprüfung. Die Aussage eines jeden Bewohners des Hofes wird aufgenommen.« Gülich tippte mit dem Finger auf eines der Blätter. »Hier fehlen zum Beispiel die Einnahmen aus dem Vermögen der Eheleute Roder, von denen ich aber weiß, dass es sie gab.« Er hob die Augenbrauen und schaute zu Elsgen und Puckel hinüber, die beide sichtlich verlegen auf ihren Lippen kauten. Wahrscheinlich würden sie noch heute Nacht das Weite suchen. Vorsorglich bat Gülich den Schreiber, die Stadtsoldaten zu holen, damit die beiden in den Frankenturm gebracht wurden.
Elsgen schrie auf und wollte aus dem Zimmer stürzen, doch Gülich fasste sie am Arm und zwang sie in den Stuhl. »Hiergeblieben, Frau!« Dann schob er den Riegel von innen vor die Tür und hängte ein Schloss daran, das er erst entfernte, als die Stadtsoldaten im Rathaus eintrafen.
Nachdem das Verwalterehepaar aus dem Raum geschafft worden war, erhob sich Gülich und beobachtete durch das Fenster, wie sie abgeführt wurden. Hätten Iven und Alena die Missbräuche durch die beiden nicht zur Sprache gebracht, wären die Bäuche des Ehepaares wohl immer runder geworden. Der Hof der Siechen spielte für den Rat keine Rolle. So konnten sie sich in Sicherheit wiegen.
Plötzlich erblickte er eine Frau, die, gekleidet in einen Siechenmantel, einen Karren über den Aldemarkt zog, in dem ebenfalls ein Leproser saß. So schnell es ihre Last erlaubte, näherte sie sich dem Rathaus. Wie sie den Weg bis hierher geschafft hatte, ohne festgenommen zu werden, war Gülich ein Rätsel. Schließlich fand heute noch nicht das Hochfest Mariä Himmelfahrt statt, an dem die Siechen in die Stadt durften.
Gerade als er den Gedanken zu Ende geführt hatte, eilten zwei Stadtsoldaten auf die Aussätzigen zu. Gülich verließ schnellen Schrittes sein Arbeitszimmer und stürzte auf den Aldemarkt. Sein Gefühl sagte ihm, dass die beiden eine wichtige Aussage machen wollten.
Die Frau wehrte sich mit aller Kraft gegen den Griff des Stadtsoldaten. Gülich sah, dass ihr eine Hand fehlte. In dem Karren kauerte der Mann wie ein Häufchen Elend. Es schien, als würde es bald mit ihm zu Ende gehen.
Gülich gebot dem Stadtsoldaten Einhalt und wandte sich an die Sieche. »Gibt es einen besonderen Grund, warum ihr außerhalb der erlaubten Tage in der Stadt seid?«
»Allerdings«, entgegnete die Sieche und musterte Gülich vom Scheitel bis zu den Fußsohlen. »Doch was geht das Euch an?«
»Mein Name ist Nikolaus Gülich. Ich bin Mitglied der Untersuchungskommission des Rates. Wenn es um die Missbräuche auf dem Leprosenhof geht, seid ihr bei mir richtig.«
Die Sieche kniff die Augen zusammen. »Nee, wegen den Missbräuchen sind wir nicht hier. Aber mein vermaledeiter Mann hat etwas zu sagen.« Die rundliche Frau wandte sich dem Karren zu und rüttelte den Mann an der Schulter. »He, Bloitworst, nun schlaf nicht ein!«
Gülich gab den
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