Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
Rathauses. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Seine Finger umklammerten das Säckchen mit den Münzen, das der Rentmeister ihm als Lohn für seine Arbeit an dem Haus des Syndikus Crosch überreicht hatte. Auch wenn ihm im Grunde der Sinn nicht danach stand, wollte er für einen Augenblick hier im Löwenhof, einem Ort der Ruhe, verweilen.
Ehrfürchtig glitt sein Blick über die zweigeschossigen Arkaden, die von der Prophetenkammer abgingen. Über gewaltige Spitzbogennischen führte ein Wandelgang mit Rundbögen, an denen rote Weinblätter emporrankten. In eine der Brüstungen war das Relief des ehemaligen Bürgermeisters Grin gemeißelt, der hier den Löwenkampf ausgetragen hatte. Iven bedauerte, dass Steinmetz Laurenz bereits seit über hundert Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilte. Einen wahrhaft idyllischen Ort hatte er mit seiner Hände Kunst erschaffen, einen Platz, an dem die erhitzten Häupter der Ratsherren zur Ruhe kommen konnten.
Einen kühlen Kopf hätte er gern selbst gehabt, doch er konnte, trotz der Stille in diesem Hof, sein Gemüt nicht besänftigen. Obwohl er nicht im Dienste der Stadt Köln stand, hatte Kreps ihm anstandslos das Säckchen überlassen. So sah es also aus! Der hohe Herr von Crosch ließ sich den Umbau seines prachtvollen Hauses am Neumarkt von den Bürgern der Stadt Köln bezahlen.
Iven verzog angewidert die Lippen und schüttelte den Kopf. Sein Blick glitt noch einmal an den Rundbögen entlang. Ob Crosch auch von ihm den Bau eines solch prächtigen Laubengangs erwartete? Die Versuchung, sich mit einem ähnlichen Bauwerk zu verewigen, war groß – das Geld zu nehmen und auf dem Aldemarkt ein großes Stück Fleisch zu kaufen ebenfalls.
Der Oktoberwind frischte auf und schob eine Wolke vor die Sonne. Iven zog seinen Umhang fester um die Schultern und begab sich zu den Obenmarspforten.
Gülichs Haushälterin öffnete die Tür und musterte Iven vom Scheitel bis zu den Filzschuhen. »Sei gegrüßt, junger Mann. Du willst sicher Nikolaus einen Besuch abstatten.« Ihre Stimme klang freundlich, obwohl ihre Miene eine ganz andere Sprache zu sprechen schien.
»Ja, das stimmt. Ist er zu Hause?«
»Du hast Glück. Nikolaus ist eben erst aus dem Hospital entlassen worden. Ein Überfall bei Bergheim. Die Lanze eines Strauchdiebes hatte sich in seinen Arm gebohrt.«
Ein Schreck fuhr Iven durch die Glieder.
Doch die Frau hob beschwichtigend die Hand. »Bis auf die Schmerzen geht es ihm schon wieder gut. Komm, ich bringe dich zu ihm.«
Iven folgte der Haushälterin die Stiegen hinauf in die Wohnstube, wo Gülich neben einem Fünfplattenofen saß und genüsslich eine Pfeife paffte.
»Eine Magd wird Wein bringen.« Sachte schloss die Haushälterin die Tür hinter sich.
Ein Strahlen breitete sich auf Gülichs Gesicht aus, als er Iven erblickte. »Mein Freund, was führt dich zu mir? Komm und setz dich.«
Iven ließ sich auf dem smaragdgrünen Polster eines Lehnsessels nieder. Der Ofen schenkte verschwenderische Wärme. Iven wäre es nie in den Sinn gekommen, sich um diese Jahreszeit um Brennmaterial zu kümmern, damit das Haus erwärmt werden konnte. Wahrscheinlich würde er nicht einmal im Winter den Herd heizen können.
»Er hat dich mit Geld aus dem Stadtsäckchen entlohnt. Hab ich recht?« Gülich zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Ja, hier ist es.« Iven reichte Gülich das Säckchen. »Gebt es zurück, wenn Ihr Anklage gegen Crosch erhebt. Wie geht es Eurem Arm?«
»Das ehrt dich, junger Mann. Wirklich. Doch es nutzt alles nichts, wenn du nicht als Zeuge aussagst.« Gülich rieb seinen Arm, der in einer Schulterschlaufe lag. »Es geht schon wieder. Die Schmerzen lassen langsam nach.«
»Warum sollte ich denn nicht als Zeuge aussagen?«
»Vergiss nicht, dass du dich dann selbst belastest. Du hast dich aus dem Stadtsäckchen bezahlen lassen, obwohl du nicht für die Stadt arbeitest. Du wusstest also davon, dass sich der Herr Syndikus an den Abgaben der Kölner Bürger bereichert. Und du hast es ihm gleichgetan.«
Iven spürte Zorn in sich aufwallen. »Ich verstehe nicht ganz. Ich habe Euch doch gerade das Geld gegeben und mich eben nicht daran bereichert.« Er baute sich vor Gülich auf. »Nun hört mir mal gut zu! Meine Eltern sitzen in einem windschiefen Haus auf Strohsäcken und hungern sich ein Loch in den Bauch. Ich hätte gut und gern mit dem Geld einen saftigen Schinken kaufen können. Ja, ich habe mit der Versuchung gerungen, doch dann dachte ich daran, dass es
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