Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
vielleicht das Geld eines anderen Bürgers ist, der auch nichts zwischen die Zähne bekommt, weil ihm die hohen Herren die letzte Habe genommen haben. Dazu habe ich die letzten Tage um Gottes Lohn …«
»Nun halt mal die Luft an, Junge!«, fiel Gülich Iven ins Wort. »Ich wollte dich lediglich auf das vorbereiten, was dich vielleicht erwartet.« Er kramte in seiner Tasche, holte eine Handvoll Kölnische Mark hervor und legte die Münzen auf den Tisch. »Kauf dir deinen Schinken und etwas Holz, damit du dir ein paar Stühle zimmern kannst.«
»Almosen? Nein, guter Mann, die will ich nicht.« Seine Würde war das Letzte, was Iven sich nehmen lassen mochte, auch nicht von diesem Gülich. Er wandte sich ab und wollte gehen.
»Du bist ein ganz schön sturer Kopf, weißt du das? Das sind keine Almosen, das ist dein Lohn.«
Iven warf Gülich einen zornigen Blick zu. »Macht Ihr Euch lustig über mich?«
»Gewiss nicht. Aber nun setz dich wieder hin und beruhige dich. Du musst doch wissen, was vor Gericht auf dich zukommen könnte.«
Mit einem Murren auf den Lippen ließ Iven sich nieder. »Man wird mich also anklagen?«
»Das wird etwas dauern. Ich habe noch nicht vor, Croschs Amtsmissbrauch an die große Glocke zu hängen. Damit lasse ich mir Zeit. Du aber wirst weiterhin für den guten Doktor der Rechte arbeiten und deinen Lohn aus dem Stadtsäckchen entgegennehmen.«
»Das ist nicht Euer Ernst!«
»Doch, es ist mir sogar sehr ernst. Wir werden es nämlich auf die Spitze treiben, mein Junge. Je mehr Geld aus der Stadtschatulle fließt, desto höher fällt die Strafe aus.«
Iven wusste nicht mehr, was er denken sollte. Sein Blick fiel auf die Münzen. Sie waren nur eine Leihgabe.
»Nun nimm sie endlich. Es ist der Lohn, den ich dir für die Erfüllung des Auftrags zahle«, forderte Gülich ihn munter auf.
Nachdem Iven die Münzen endlich in seine Geldkatze gesteckt hatte, sprach sein Gegenüber weiter. Er erklärte den Ablauf der Zeugenbefragung, versicherte aber gleichzeitig, an Ivens Seite zu stehen und dafür Sorge zu tragen, dass der Syndikus seine gerechte Strafe erhalten würde.
9. K APITEL
Ü ber den Hof der Leprosen wehte ein kalter Oktoberwind. Die Äste der wenigen Bäume bogen sich und spuckten gelbe Blätter auf die Erde. Aus einem der kleinen Häuschen, in denen die Siechen lebten, drangen qualvolle Schreie.
»Hilf mir, ich sterbe! Hilf mir, Fyen! Es tut so weh!« Theres wand sich in den Laken. Von ihrer Stirn rannen dicke Schweißperlen.
»Ruhig, Liebchen! Du stirbst nicht, glaube mir. Bald ist das Kind da.« Die gesunde Hand auf den Bauch der Schwangeren gelegt, kniete Fyen zwischen Theres’ gespreizten Beinen.
»Doch, ich sterbe. Ich bin krank, zu krank, um mein Kind zu gebären«, stöhnte Theres kraftlos. »Die Sieche, sie rafft mich schon dahin. Ich spüre es.«
»Noch ist es nicht so weit. Bald schon wirst du wieder bei Kräften sein. Es ist die Schwangerschaft, die dich hat so schwach werden lassen. Das hat mit der Sieche nichts zu tun.«
Theres schloss die Augen und schnaufte wie ein Pferd nach einem stundenlangen Galopp. Dann riss sie den Kopf nach vorn und schrie aus Leibeskräften.
»Ja, Liebchen, drück nur feste, ich sehe schon das Köpfchen.« Fyen stieß einen verzückten Seufzer aus. »Es hat dein dunkles Haar. Warte nur, bis du es erst siehst.«
Theres hielt die Luft an. Ihre verzerrten Züge verrieten, wie sehr sie sich bemühte, das Kind aus sich hinauszupressen.
»Das Köpfchen ist schon draußen. Jetzt darfst du kurz verschnaufen. Atme … atme, Theres«, wies Fyen die Gebärende an. »Nun geht es weiter. Los! Feste pressen! Ja, das machst du wunderbar.«
Theres quiekte noch einmal wie ein Ferkel, und dann war die kleine Sophie geboren. Nachdem Fyen dem Säugling auf den Rücken geklopft hatte, begann das kleine verrunzelte Mädchen, lauthals zu brüllen, und beruhigte sich erst wieder, als es die Brust seiner Mutter gefunden hatte.
Die unfreiwillige Hebamme trennte die Nabelschnur durch und ließ sich schwer atmend auf den Stuhl neben dem Bett fallen. Tränen rannen über ihre Wangen. Sie selbst hatte keine Kinder bekommen können, jedoch bei den Geburten ihrer Schwester geholfen. Und jedes Mal rührte es sie zu Tränen, wenn ein kleines Menschlein gesund das Licht der Welt erblickt hatte.
»Meine kleine Sophie.« Theres strich dem Säugling über das dichte braune Haar. Auch sie weinte. Sie hob den Kopf und blickte Fyen fest in die Augen. »Ich werde nicht
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