Die Magd von Fairbourne Hall
schweigend. Was für eine unerwartet formelle Mahlzeit! Margaret fühlte sich zurückversetzt an einen höchst ungemütlichen Abend, an dem ihre Großtante sie und eine mürrische verwitwete Gräfin zum Essen eingeladen hatte. Sie hatte nicht gedacht, dass die Abendessen der Dienerschaft so verliefen.
Irgendwann standen ein paar von ihnen auf, darunter auch Betty. Margaret wollte sich ebenfalls erheben, doch Fiona packte sie am Arm und zog sie zurück auf ihren Stuhl. Dann zischte sie ihr ins Ohr: »Was denkst du dir eigentlich? Nur die Oberen gehen.«
Die höherrangigen Dienstboten – Mr Hudson, Mrs Budgeon, Mr Arnold und Betty als Erstes Hausmädchen – erhoben sich und verließen in feierlicher Prozession den Raum.
»Wo gehen sie denn hin?«, flüsterte Margaret.
»Auf den Mond – was denkst du denn? Ins Dienstbotenwohnzimmer natürlich.«
Mr Arnold blieb auf der Schwelle stehen und sah sich um. »Fred, ich verlasse mich darauf, dass Sie nach dem Essen noch mit dem Hund hinausgehen!«
»Mach ich, Sir.«
Der Zweite Butler, fiel Margaret auf, hatte eine Flasche Portwein unter dem Arm, die übrigen Dienstboten je eine Flasche Dünnbier.
Margaret hatte bereits vom Brauch der »oberen Zehntausend« gehört, die ihren Nachtisch, die besseren Speisen und den Wein getrennt von der gewöhnlichen Dienerschaft im Dienstbotenwohnzimmer einnahmen. Trotzdem empfand sie einen leichten Stich, dass sie ganz offensichtlich dem unteren Ende der Dienstbotenhierarchie angehörte. Dass sie nicht mitdurfte.
Doch dieses Gefühl schwand bald, da die steife Atmosphäre im Dienstbotenzimmer nun rasch entspannter Fröhlichkeit wich, nachdem die Oberen – die Chefs – fort waren.
Thomas, der dunkelhaarige Erste Lakai, erhob sein Glas mit Dünnbier. »Auf die Rückkehr von Mr Upchurch.«
Eine weibliche Stimme zu ihrer Rechten sagte: »Ich wünschte, Mr Lewis Upchurch käme zurück.«
Margaret schaute sich überrascht um und sah, dass das mollige Destillierraum-Mädchen, das sie am Morgen kennengelernt hatte, wehmütig-verträumt vor sich hin blickte.
»Ja? Warum?«, fragte sie. Irgendwie fand sie es beunruhigend, dass sie nicht das einzige Hausmädchen war, das auf Lewisʼ Auftauchen wartete.
Hester schaute träumerisch in die Ferne, antwortete jedoch nicht.
Der dunkelhaarige Thomas warf Margaret einen schiefen Blick zu. »Du hast ihn noch nicht gesehen, sonst würdest du nicht fragen. Alle Mädchen schwärmen für Mr Lewis.«
»Ich weiß beim besten Willen nicht, warum.« Craig, der Zweite Lakai, zuckte die Achseln.
»Komm schon«, sagte Jenny. »Wir wissen doch alle, dass Hester sich nicht nach Mr Lewis verzehrt, sondern nach dem jungen Mann, der ihn begleitet.«
Margaret wandte sich an das Küchenmädchen. »Und wer ist das?«
Jenny sah sie fassungslos an. »Sein Kammerdiener natürlich.«
»Ach ja, richtig«, murmelte Margaret und sah, dass Hesters runde Wangen eine zartrosa Tönung angenommen hatten.
»Was die Mädchen in dem sehen, weiß ich auch nicht«, schmollte der blonde Craig. »Was hat er, das ich nicht habe?«
»Klasse, das hat er«, antwortete Jenny. »Und gute Manieren.«
Ein anderes Küchenmädchen sagte: »Und er sieht so gut aus in seinen vornehmen Kleidern.«
Craig runzelte die Stirn. »Ich habe auch vornehme Kleidung.«
Thomas warf seine Serviette hin. »Du bezeichnest eine Livree als vornehm?« Seine Lippen kräuselten sich. »Für dressierte Affen vielleicht.«
Margaret war überrascht, dass der Erste Lakai die Livree, die er doch selbst trug, so verachtete.
»Ach, hör nicht auf Thomas«, beschwichtigte Jenny. »Ihr seht beide sehr gut aus in eurer Livree. Sehr elegant.«
»Danke, Jenny«, sagte Craig hoffnungsvoll. »Du hast nicht zufällig eine Schwester?«
Thomas feixte. »Oder eine Großmutter? Craig ist nicht wählerisch.«
Craig warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, doch die anderen lachten und genossen die Neckerei fast so sehr wie das Dessert.
Am nächsten Morgen machte Margaret sich erstmals an ihr volles Arbeitspensum. Wenn sie schon den Vortag als anspruchsvoll empfunden hatte, so erwies dieser Tag sich als noch viel schwieriger. Am gestrigen Tag hatte sie Betty zugeschaut, war ihr zur Hand gegangen und hatte von ihr gelernt; heute war sie auf sich selbst gestellt. Betty hatte ihr aufgetragen, noch vor dem Frühstück den Salon, den Wintergarten, die Diele und das Büro des Verwalters zu putzen, während sie selbst sich die Bibliothek, den Salon, das Morgenzimmer, das
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