Die Magd von Fairbourne Hall
zu lesen. Es war die Bibel, aufgeschlagen beim Johannesevangelium. Das ließ sie kurz innehalten und überlegen, ob dies wirklich Lewisʼ Zimmer war. Lewis wirkte nicht wie ein Mann, der in der Bibel las, obwohl sie glücklich wäre, wenn sie sich in diesem Punkt irrte. Immerhin war ihr Vater ein solcher Mann gewesen.
Sie beugte sich über das Bett, um die Bettdecken aufzunehmen und zum Lüften auszulegen, als die Tür hinter ihr aufflog.
Sie schnappte nach Luft, verärgert, dass sie so erwischt wurde, auf Händen und Knien auf dem Bett liegend, das Hinterteil in die Luft gereckt. Sie sprang auf und fuhr herum, um zu sehen, wer hereingekommen war. War es vielleicht Fiona, die ihr beim Bettenmachen helfen wollte?
Nein.
Nathaniel Upchurch betrat das Zimmer, sah sie jedoch kaum an. Er hob abwehrend die Hand, als sie aus dem Zimmer laufen wollte. »Mach ruhig weiter. Ich bin gleich wieder weg.«
Margaret fühlte sich, als sei sie gerade eine hohe Treppe hinaufgerannt. Sie holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Dann nahm sie das Kissen und begann es aufzuschütteln. Dabei warf sie einen Blick über die Schulter zu Nathaniel, der in der Schreibtischschublade nach irgendetwas suchte. Es war also Nathaniels Zimmer. Nathaniels Bibel. Das war irgendwie logisch. Nicht das Zimmer von Lewis. Lewisʼ Zimmer war das schlampige. Na gut, schließlich war es egal, dass Lewis nicht besonders ordentlich war. Zum Aufräumen hatte man ja die Dienerschaft. Bei diesem Gedanken biss sie sich auf die Lippen.
Es war ein seltsames Gefühl, fast peinlich, Nathaniel Upchurchs Kissen aufzuschütteln. Mit den Händen seine Betttücher glattzustreichen. Bei dem Gedanken begannen ihre Wangen zu glühen.
Anscheinend hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte, denn er drehte sich um und verließ das Zimmer, ohne ihr noch einen Blick zu schenken.
Selbstverständlich würde ein Mann wie Nathaniel Upchurch niemals ein Hausmädchen wahrnehmen und ihr auch nie unerwünschte Aufmerksamkeit schenken, so wie Marcus Benton. Er würde sie bestimmt nicht so eingehend betrachten, dass er feststellten konnte, ob sie attraktiv war, oder gar die Gefahr bestand, dass er sie erkannte. Eigentlich sollte sie erleichtert sein.
Sie stand noch immer bewegungslos neben Nathaniel Upchurchs Bett, als Fiona hereinkam. »Da bist du ja! Immer noch nicht fertig? Ich habe noch nie ein so langsames Mädchen erlebt. Na komm schon. Ich helfe dir beim Bettenmachen. Das schaffst du doch nie allein.«
Fionas Zurechtweisung erinnerte Margaret an Joan. Wie ihr früheres Mädchen wohl kichern würde, wenn sie sie jetzt sehen könnte.
Nathaniel betrat das Speisezimmer. Er hatte sich zum Abendessen umgezogen. Helen saß allein an dem langen Tisch. Sie trug ein tristes burgunderfarbenes Abendkleid, das ihrem Teint wenig schmeichelte.
»Wo ist Lewis?«, fragte er und nahm Platz.
»Er isst heute Abend nicht mit uns. Er wollte Freunde in Maidstone besuchen.«
Nathaniel war verärgert. Lewis war kaum angekommen und fand schon wieder Gründe, Fairbourne Hall zu verlassen. »Was für Freunde?«
»Das hat er nicht gesagt.«
Nathaniel dachte an ihre Bekannten in Maidstone – Lord Romney von Mote Park, die Whatmans of Vinters, die Langleys, die Bishops. Ihm selbst machte es nichts aus, aber warum hatten sie Helen nicht mit eingeladen, falls es sich um eine Einladung handelte? Er fühlte sich anstelle seiner Schwester gekränkt. Oder war Lewis einfach ohne Einladung hingegangen?
Vorsichtig fragte er: »Wie geht es denn den Whatmans …? Hast du sie in letzter Zeit mal gesehen?«
Helen schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie halten sich die meiste Zeit an der Küste auf. Mr Whatman hat eine Leidenschaft für Seebäder entwickelt, habe ich gehört.«
Sie sah den Lakaien an, der den Wink verstand und den Deckel von der Suppenterrine hob. Helen bediente Nathaniel und dann sich selbst, so wie es bei ihnen üblich war.
Während Nathaniel seine Kürbissuppe aß, fragte er: »Sag mal, was hast du eigentlich so getrieben, als ich weg war?«
Sie zuckte die Achseln und tauchte den Löffel in die Suppe. »Ach, ich habe viel gelesen. Und getan, was ich als Herrin des Anwesens tun konnte, während Lewis in London war.«
»Wie lange ist es her, dass du auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung warst?«
Sie zögerte, die Augen niedergeschlagen.
»Ich war zwei Jahre fort.« Nathaniel ließ nicht locker. »Du willst doch nicht sagen, dass du die ganze Zeit zu Hause warst?«
Sie runzelte
Weitere Kostenlose Bücher