Die Magd von Fairbourne Hall
wieder und prüfte, ob das Siegel hielt.
Sie war froh, dass Helen daran gedacht hatte, denn obwohl sie den Brief an ihre Mutter adressiert hatte, war sie doch ganz sicher, dass Sterling ihn ebenfalls lesen und darin nach Anzeichen auf ihren Aufenthaltsort suchen würde.
Zwei Tage später, ein einem regnerischen Sonntagnachmittag, hatte Margaret Langeweile. Sie hatte nichts zu tun. Ihre Arbeit war getan, auch die Näharbeiten waren fertig. Sie hatte auch nichts Neues zu lesen. Sie überlegte, ob sie ein bisschen mit Betty plaudern sollte, doch als sie zu ihrem Zimmer ging und davor stehen blieb, um zu klopfen, verriet ihr ein leises Schnarchen, dass das Erste Hausmädchen ein seltenes und wohlverdientes Schläfchen hielt.
Da sie sich einsam fühlte, ging sie nach unten. Der Destillierraum war leer – keine Spur von der lieben Hester. Sie ging weiter. Auch in der Küche war es unnatürlich ruhig. Sie war überrascht, dass Monsieur Fournier und die Küchenmädchen nicht wie sonst bei der Arbeit waren und das Abendessen für die Familie vorbereiteten.
Stattdessen fand sie den Koch allein am Küchentisch sitzend, die Füße auf eine Kiste gelegt, die Augen geschlossen, lauschend auf … ja, worauf? Sie blieb stehen, um ebenfalls zu lauschen, und hörte leise Klaviermusik.
»Guten Tag«, flüsterte sie.
Die buschigen Brauen des Mannes hoben sich, als er die Augen öffnete. »Ach, Nora.« Er richtete sich auf.
Sie sah sich um. »Ich habe die Küche nicht mehr so ruhig erlebt, seit wir alle einen halben Tag freibekommen haben wegen Miss Upchurchs Geburtstag.«
Er nickte. »Die Herrschaft speist heute Abend bei einem Onkel. Und so bin ich, wenigstens für ein paar Stunden, ein Mann der Muße.« Er machte eine großzügige, unbekümmerte Geste mit beiden Händen.
Sie lächelte. »Irgendetwas sagt mir, dass es Ihnen nicht lange behagen wird, ein Mann der Muße zu sein. Sie haben zu viel Freude an Ihrer Arbeit.«
Er schürzte die Lippen und machte eine Geste, die besagte, dass sich das durchaus im Rahmen hielt.
Sie neigte den Kopf und lauschte der fernen Musik. »Spielt Mrs Budgeon jeden Sonntag?«
»Nicht jeden, aber hin und wieder.«
»Hat sie denn keine Verwandten in der Nähe, die sie besuchen könnte? Ich habe sie nie von Kindern oder einem Mann sprechen hören.«
Er schüttelte den Kopf. »Mrs Budgeon ist nicht verheiratet. Es ist üblich, eine Haushälterin als ›Mrs‹ anzureden, ob sie verheiratet ist oder nicht. Das weißt du doch, oder?«
»Oh ja, ich habe es gehört.« Sie betrachtete ihn einen Moment und fragte dann: »Denken Sie manchmal daran, in einem vornehmeren Haushalt zu arbeiten? Wo Ihre Fähigkeiten besser gewürdigt werden?«
Seine Augen blitzten auf. »Willst du mich loswerden?«
Margaret spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Nein, gar nicht.«
Er zuckte leichthin die Achseln. »Mr Lewis hat mir eine Stelle in London angeboten. Er gibt dort viele Gesellschaften, habe ich gehört. Da kommen viele vornehme Gäste.«
»Und warum haben Sie nicht angenommen?«
Monsieur Fournier schwieg ein Weilchen und sie fürchtete schon, ihn mit ihrer Frage beleidigt zu haben.
Schließlich sagte er: »Du weißt doch, dass eine Haushälterin während der Saison zu Hause bleibt; sie reist nicht mit der Familie mit. Sie bleibt bei ihren Mädchen und sorgt dafür, dass alles bereit ist, wenn die Familie zurückkehrt.«
Welch eine seltsame Antwort! Oder vielleicht war sie auch gar nicht so seltsam. »Ich verstehe …«, murmelte Margaret. Ja, sie verstand. Oder fing jedenfalls an zu verstehen.
Er neigte den Kopf und lauschte beinahe verträumt, als eine andere Melodie durch die Küchentür hereindrang. »Das ist eine Jadin-Sonate. Sie spielt sie sehr gut, nicht wahr?«
Nathaniel hatte in der letzten Woche mehr zu tun gehabt als sonst. Er war gezwungen gewesen, an einer Reihe von Sitzungen des Ausschusses teilzunehmen, der sich mit Maßnahmen zur Sanierung des lokalen Straßennetzes beschäftigte. Außerdem hatte er sich mit dem Pfarrer getroffen und Pläne für die Verbesserung des Loses der Armen in der Gemeinde entwickelt. Wegen dieser Verpflichtungen hatte er Hudson an seiner Stelle nach London geschickt, damit dieser dort mit einem Schiffszimmermann die nötigen Reparaturen an seinem Schiff besprach.
Während Hudsons Abwesenheit hatte er dann noch mehr zu tun, da er zusätzlich zu seinen Aufgaben noch die Pflichten des Verwalters übernahm und die Zimmerleute und Dachdecker
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