Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
Willen bewegen.
Das war die eigentliche Magie.
Er schöpfte die nötige Kraft aus seinem Inneren. Dann sammelte er diese Kraft um das, was ihm im Leben am meisten bedeutete: Léti.
Nun begann sein Herz schneller zu schlagen, und sein Atem beschleunigte sich. Ihm zitterten die Hände. Seine Körpertemperatur stieg an, die Muskeln spannten sich, und er verlor die Kontrolle über seinen Körper.
Doch das alles spürte er noch nicht. Er ahnte es voraus, aber er würde es erst erleben, nachdem er seinen Willen entfesselt hatte und die Welt wieder auf ihn einstürzte. Und selbst dann wäre es nur eine Erinnerung. Yan spürte nichts von dem, was in diesem Moment in seinem Körper vorging.
Schließlich ließ er seinen Willen frei. Es gelang ihm, die plötzliche Rückkehr seiner Sinne so zu beeinflussen, dass er als Erstes wieder sehen konnte. Die Mondkönigin bebte leicht, schwankte hin und her und wurde dann wie von einem unsichtbaren Windstoß einen Fuß weit durch die Luft geschleudert.
Vor lauter Begeisterung öffnete Yan sich der Welt viel zu schnell. All seine Sinne kehrten gleichzeitig zurück. Er durchlitt einen qualvollen Augenblick, in dem seine gesamte Wahrnehmung geschärft war und alles gleichzeitig auf ihn einstürmte. Er schrie vor Schmerzen auf. Als Nächstes traf es seinen Körper. Dieser wurde erst von einem heftigen Fieberschub geschüttelt und dann von eisiger Starre erfasst. Bis zu diesem Moment hatte er sich stark gefühlt, doch nun war er völlig kraftlos und fror bis ins Mark.
Er kannte dieses Gefühl von der Insel Ji und von dem Tag, als er die Mondkönigin zum ersten Mal zu Fall gebracht hatte. Er wusste, dass er abwarten musste, bis sein Geist wieder die Kontrolle übernahm und Ordnung in das Chaos brachte. Sollte er versuchen aufzustehen oder eine jähe Bewegung machen, würde ihm schwindlig werden und er würde sich übergeben müssen.
Als die Wärme in seinen Körper zurückkehrte, richtete er sich auf und lehnte sich an einen Baumstamm. Erst jetzt fiel ihm Corenn wieder ein.
Die Ratsfrau machte ein ernstes Gesicht. Sie nahm sein Handgelenk und maß seinen Puls. »Das wird schon wieder.«
Yan lächelte und nickte. Er fühlte sich gut und sogar zunehmend besser. Bald war er stark genug, um zu sprechen.
»Kommt ganz darauf an«, sagte er keuchend. »Habe ich die Prüfung bestanden oder nicht?«
»Du bist nun offiziell mein Magierlehrling! Natürlich nur, wenn du willst.«
»Was für eine Frage! Darf ich es jetzt Léti sagen?«
»Worauf wartest du noch?«
Sie half ihm hoch, und beide gingen mit langsamen Schritten zurück zu Rajis Hof.
»Wie lange hat es gedauert? Ich erinnere mich nicht.«
»Höchstens ein paar Dezillen. Jedenfalls keine drei Tage!«
Yan nickte. Während seiner Versenkung hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Wenn Corenn behauptet hätte, es sei ein Dekant vergangen, hätte er ihr ohne Zögern geglaubt. »Muss ich Euch jetzt eigentlich ›Meisterin‹ nennen?«
»Um Eurydis’ willen, natürlich nicht! Nenn mich so wie immer!«
»Gut. Äh … Dame Corenn, verzeiht die Frage, aber … Was wollt Ihr mir eigentlich beibringen? Ich meine, meinen Willen kann ich doch schon gebrauchen, oder?«
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Yan war zwar klug und begabt, doch er würde sich immer eine gewisse Naivität bewahren. »Viel, sehr viel, mein junger Freund. Was du über Magie weißt, ist nur ein Wassertropfen im endlosen Meer. Ich werde dir so viel davon zu trinken geben, dass du den Geschmack des Meeresbodens auf der Zunge schmecken wirst!«
Yan verschlug es die Sprache.
»Nein! Nein, Bowbaq! Was tust du denn da? Man könnte meinen, du hättest Angst, den Stock zu zerbrechen!«
Grigán nahm seine Aufgabe als Kampflehrer inzwischen sehr ernst. Und während Léti stets mit Feuereifer bei der Sache war, musste er seinen anderen Schüler ermuntern, anspornen und manchmal auch scharf zurechtweisen. Der Riese führte sämtliche Übungen freudlos aus und besaß trotz seiner Körperkraft offenkundig keinerlei Begabung für den Umgang mit der Waffe. Er hielt den schweren Stock in der Hand, als sei er eine schlafende Schlange, die man unter keinen Umständen wecken durfte.
»Ich habe Angst, dir wehzutun, mein Freund«, bekannte Bowbaq und zerzauste sich mit plumpen Fingern den Bart. »Was, wenn dich einer meiner Schläge trifft?«
Der Krieger schüttelte verzweifelt den Kopf. Den Stockkampf hatte er als Erstes gelernt, wie alle Ramgriths, denn die Gesetze
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