Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
irgendwann Hilfe brauchte. Ihre Instinkte und ihre Vorahnungen schützten sie, ihre eigenen Fähigkeiten und nicht die anderer. In ihren Jahren als Ilse-Hexe hatte sie diese ausgeprägt, und während ihrer Zeit als Ard Rhys hatte sich daran nichts geändert. »Weck mich bitte früh, Tagwen«, bat sie ihn.
»Das wird nicht nötig sein«, antwortete er. »Ihr seid sowieso vor mir wach. Wie immer. Gute Nacht, Herrin.« Leise ging er hinaus und schloss die Tür hinter sich, als wäre sie aus Glas. Sie lächelte vor sich hin und fragte sich, was sie ohne ihn tun würde. Obwohl er so klein und unscheinbar wirkte, war er in vielerlei Hinsicht für sie das wichtigste Mitglied des Ordens.
Sie setzte sich, nahm ihren Tee und nippte vorsichtig an dem heißen Gebräu. Sie war sich kaum bewusst, was sie tat, da sie in Gedanken ganz mit den bevorstehenden Treffen und den Einzelheiten dessen beschäftigt war, was sie zu erreichen suchte. Einmal dachte sie kurz an Traunt Rowan und seine eigenartig eindringliche Bitte, doch rasch wandte sie sich wieder anderen Angelegenheiten zu. Von ihrem Amt zurückzutreten, stand außer Frage. Sie würde vielleicht ein oder zwei Mitglieder des Ordens auf verantwortungsvollere Positionen setzen, darunter Ceryson Scyre, der wiederholt bewiesen hatte, dass er dessen würdig war. Gerant Cera kam ebenfalls in Frage, obwohl sie nicht sicher war, ob er sie weiterhin als Ard Rhys sehen wollte. Sie spielte mit dem Gedanken, Traunt Rowan zu befördern, trotz seines Benehmens ihr gegenüber. Dadurch würde sie ihn vielleicht von Shadea a'Ru und Iridia Eleri trennen, was nur gut für ihn sein konnte. Diese zwei Frauen besaßen die größte Begabung von allen Angehörigen des Ordens, und keiner der beiden durfte man über den Weg trauen. Früher oder später würde sie sich mit ihnen befassen müssen.
Von dem Trunk wurden ihr die Lider schwer, und sie ging zum Bett, legte die Robe ab und kroch unter die Decke. Ihr letzter Gedanke galt den seltsamen Ereignissen in den Ruinen des Schädelreiches und ihrem Entschluss, herauszufinden, wer sie ausgelöst hatte. Von den Schatten der Druiden am Hadeshorn würde sie vielleicht mehr erfahren, und sie hatte die notwendigen Vorbereitungen für die Reise schon getroffen. Sobald sie diese Gespräche mit Sen Dunsidan hinter sich hatte, würde sie mit Kermadec aufbrechen, und vielleicht würde sie Tagwen sogar ihr Ziel verraten, nur um seine missbilligende Miene zu genießen.
Im Augenblick war sie zu müde, um die Kerzen auf dem Schreibtisch auszublasen, und so flackerten diese hell inmitten des dunklen Zimmers weiter.
Die Nacht senkte sich über Paranor, still und schwarz, lediglich Mond und Sterne verbreiteten einen schwachen Schein unter dem wolkenlosen Himmel. Die meisten Druiden schliefen, nur wenige, die bevorzugt nachts arbeiteten, beschäftigten sich in ihren Arbeitszimmern mit Studien. Die Trollwache hatte ihre Posten eingenommen, vor der Tür der Ard Rhys und am Tor des Keeps. Es gab zwar keinen besonderen Anlass, sich wegen der Sicherheit Sorgen zu machen, dennoch waren die Trolle wachsam. In der Vergangenheit waren die Druiden und ihre Beschützer an zu großer Selbstgefälligkeit zugrunde gegangen.
Shadea a'Ru schlich durch die Mauer des hohen Turms und folgte den Windungen des Geheimganges zum Schlafzimmer der Ard Rhys. Mitternacht war lange vorüber, und sie wusste, eine bessere Gelegenheit als jetzt würde sich nicht mehr ergeben. Vor zwei Tagen, während der Abwesenheit Grianne Ohmsfords, hatte sie den muffigen Korridor von Schutzzaubern befreit, und in der kurzen Zwischenzeit waren sie bestimmt noch nicht erneuert worden. Langsam bewegte sich die Zauberin durch die Dunkelheit, und allein ein schwacher Strahl von ihr erzeugten magischen Lichtes bewahrte sie davor zu stolpern. Sie durfte kein Geräusch verursachen, denn das könnte die Ard Rhys im Schlaf warnen. Deshalb musste sie sich wie eine winzige Maus verhalten. Sie schwitzte, wegen der Enge des Ganges und weil sie so aufgeregt war. Angst verspürte sie nicht. Angst war ihr fremd. Dabei war sie weder sorglos noch töricht; das Risiko begriff sie durchaus. In gefährlichen Situationen scheiterte man nur, wenn man sich nicht gründlich vorbereitet oder wenn man Pech hatte. Das Erste konnte man kontrollieren, und solange man alle Sinne beieinander hatte, auch das Zweite. Menschen wie sie, Waisen und andere Benachteiligte, konnten ohne Risiko nichts erreichen. So war eben das Leben, und damit hatte
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