Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
sie sich vor langer Zeit abgefunden.
Heute Nacht würde sich die Erkenntnis abermals bestätigen, und zwar so drastisch wie nie zuvor. Im Falle eines Erfolges konnte sie das erlangen, wonach sie gestrebt hatte. Scheiterte sie, bedeutete das vermutlich ihren Tod. Diese Bedingung war für Shadea a'Ru durchaus akzeptabel. Diesen Einsatz wollte sie wagen. Erneut fragte sie sich, woher die flüssige Nacht stammte. Dieses Mittel war durch jemanden in ihren Besitz gelangt, der selbst nicht über Magie verfügte, und das beschäftigte sie. Sen Dunsidan bildete die Spitze der Hierarchie in einer einflussreichen Regierung, doch mangelte es ihm an den Möglichkeiten, sich eine solch mächtige Waffe eigenhändig zu verschaffen. Ohne Hilfe wäre ihm das nicht gelungen, und jegliche Hilfe auf magischer Grundlage, die nicht von ihr selbst stammte, behagte ihr nicht. Denn das bedeutete, dass er eine Alternative hatte, was sich wiederum für sie als gefährlich erweisen könnte. Trotzdem war er auf sie angewiesen. Ohne sie würde er den Druidenorden nicht unter Kontrolle bringen und somit seine Pläne für die Freien nicht in die Tat umsetzen können.
Eine letzte Treppe vor ihr führte zum Turmzimmer hinauf, in dem Grianne Ohmsford schlief. Automatisch wurde die Zauberin langsamer, in ihren Bewegungen und in ihrem Denken, ja, sogar in ihrer Atmung, und sie mahnte sich zur Ruhe. Lautlos stieg sie die steinernen Stufen hinauf bis zum Absatz, und dort verharrte sie vor der Wand, hinter der sich das verbotene Territorium befand. Sie überprüfte den Warnzauber, den sie eingesetzt hatte, doch stellte sie keine Veränderung fest. Die Ard Rhys hatte sich nicht die Mühe gemacht, nachzuschauen, ob jemand ihre Magie manipuliert hatte. Grianne Ohmsford wiegte sich in Sicherheit.
Angespannte Aufregung durchflutete Shadea, als sie in ihre Robe griff und das Fläschchen mit der flüssigen Nacht hervorholte. Um sie herum herrschte Stille, im Gang, im Zimmer dahinter, im gesamten Keep. Träume und Schlummer hatten in Paranor Einzug gehalten, die Bewohner lagen ruhig und ahnungslos in ihren Betten. Shadea lauschte und stellte das Fläschchen vor sich auf den Boden.
Sie war bereit.
Sorgfältig konstruierte sie eine Reihe von Zaubern und Beschwörungen, die sie vor der Tür stapelte. Einen nach dem anderen kreierte sie mit Gesten und Worten. Niemand sah oder hörte sie. Sie atmete, als sei nicht genug Luft vorhanden, und atmete nach einem verzwickten Muster ein und aus, das ihre Bemühungen unterstützte, ebenso wie ihre Lebensenergie. Sie war vollkommen auf ihre Aufgabe konzentriert, zögerte nicht und schwankte nicht und arbeitete gewissenhaft und unbeirrt.
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie die Beschwörungen beendet hatte. Danach kniete sie vor der Tür und öffnete die Haut aus Magie, die sie dort angebracht hatte, und verschaffte sich so Zutritt zu der geheimen Tür und dem Zimmer dahinter. Sie hörte ihr eigenes Herz klopfen und das Blut durch die Adern rauschen. Ihr schien es, sie müsse auch die Ard Rhys auf der anderen Seite atmen hören, wo sie in tiefem Schlaf lag und doch jeden Augenblick erwachen konnte.
Nun machte sie sich bereit, den Stöpsel von dem Fläschchen mit flüssiger Nacht zu ziehen. Ihre Hände begannen zu zittern.
Einen Augenblick lang zögerte sie und dachte plötzlich, sie würde zu viel wagen und sich übernehmen; ihr Vorhaben musste zum Scheitern verurteilt sein. In dem Moment, in dem sie die Flüssigkeit in das Zimmer brachte, würde die Ard Rhys erwachen und den Anschlag entdecken. Schlauer wäre es gewesen, die Ard Rhys einfach zu vergiften. Diese so ausgeklügelte Vollstreckung würde nicht funktionieren. Wie denn auch? Voller Wut auf sich selbst verscheuchte sie Zaudern und Zweifel wie lästige Insekten, die um ihren Kopf schwirrten.
Sie zog den Stöpsel von der Flasche und leerte sie in den Trichter, den sie mit ihrem letzten Zauberspruch in der Mauer erschaffen hatte, und damit gelangten die flüssige Nacht und der Zauberspruch, der sie leitete, in das Zimmer.
Geschafft, sagte sie bei sich und steckte den Stöpsel wieder auf die Flasche.
Nun setzte sie sich auf die Fersen zurück und wartete.
Grianne Ohmsford erwachte und hatte gerade genug Zeit, um zu begreifen, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte, dass eine fremde Magie ihre Schutzzauber überwunden hatte und in den Raum eingedrungen war. Sofort machte sie sich zur Verteidigung bereit, aber es war bereits zu spät. Das Zimmer schwankte - oder
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